Ein Spätherbsttag wie heute, während der Rest Europas in Schnee und Eis versinkt und man sich daher umso mehr über die 20°C und den Sonnenschein freut, ist die beste Gelegenheit, um nach der Arbeit in den Gülhane Park in der Altstadt zu gehen.
Der seit 1912 öffentlich zugängliche Park, der zum Topkapi Palast und somit einst dem Sultan gehörte, liegt an der Spitze des Stadtteils und sobald man ihn durch das Tor betreten hat, fühlt sich man entspannt. Gleich hinter dem Eingang begrüßt eine riesige Atatürk-Statue die Besucher. Mittlerweile ist sie schwarz angelaufen, sein Schoß jedoch ist weiterhin goldfarben – dort, wo die Touristen für Fotos sitzen. An den Seiten der befestigten Wege stehen steinerne Löwen, dahinter riesige Platanen, die gerade ihre stacheligen Früchte abwerfen. Viele Arbeiter waren – ohne Schutzbrille oder -handschuhe – damit beschäftigt, die fast kahlen Bäume zu beschneiden, einige wurden ganz abgesägt. Auf den Wegen lagen kleine Stöcker und Blätter. Muss ich noch erwähnen, dass ich natürlich über sämtliche Miniästchen gestolpert bin und dabei sogar meine Feinstrumpfhose zerrissen habe?
Auf den Wegen liefen alle möglichen Leute entlang, Touristen mit großen Fotoapparaten vorm Bauch, Familien mit kleinen Kindern auf dem Arm, Gruppen von Frauen mit Kopftuch. Aber wer ein wenig abseits dieser Hauptwege schaut, entdeckt viele Besucher, die chillig im Gras sitzen oder auf Holzbänken entlang der Palastmauer, Liebespärchen, die sich hinter den vielen Bäumen verstecken. Es ist ruhig im Gülhane Park, so ruhig, dass man den Wind im raschelnden Laub hört, die sich mit Krähen streitenden Möwen und die kleinen Fähren mit ihren schreienden Motoren auf dem Bosporus.
Am schönsten ist meiner Meinung nach aber das Café am anderen Ende des Parks, von wo aus man halb Istanbul überblicken kann: da, wo der Bosporus ins Marmarameer mündet; wo die großen Schiffe Richtung Schwarzes Meer fahren; die kleinen Fähren; einen großen Teil der asiatischen Seite; einen großen Teil der europäischen Seite inklusive der Wolkenkratzer im Bankenviertel Levent; die Bosporusbrücke in ihrer wunderschönen Gesamtheit. Ein Café, in dem jeder an der Brüstung sitzen will, wo ein paar Katzen herumstrolchen und der Tee in Kännchen gebracht wird, so dass man gern noch länger dort bleibt. Die wahren Touristen stehen natürlich an der Brüstung und schießen ein Foto nach dem anderen, während ich das Ganze subtiler im Sitzen versuche, sei es aus Faulheit oder zur Abhebung vom gemeinen Touristen.
Beim langsamen Herausschlendern fiel mir auf, dass viele Gäste sich auf die Löwenstatuen für Fotos setzten. Am Rande des Parks gab es einige Baustellen und wippende Kräne mit Holzarbeitern, die Bäume absägten.
In nicht einmal zehn Minuten läuft man vom Park wieder zur Sultanahmet-Gegend, wo man schlagartig ins lebhafte Istanbul zurückgeholt wird.
In den nächsten Monaten werde ich garantiert zurückkommen, um den Wechsel der Jahreszeiten im Gülhane Park zu sehen. Außerdem will ich unbedingt in den Palast des Sultans, denn wenn sein Garten schon beeindruckend ist, wie werden es dann erst seine Gemächer sein?!
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 29. November 2010)