Heute will ich meine Mutti!

 Der heutige Tag begann für mich heute früh exakt um 2:28 Uhr, als mein Festnetztelefon schrill klingelte und mich jäh aus meinem Schönheitsschlaf riss. Dabei gibt es zur Zeit nur zwei Kollegen, die diese Nummer haben und da garantiert schliefen. Immer wieder kommt es vor, dass mein Telefon – gewöhnlich jedoch tagsüber – klingelt und türkische Stimmen mir einen Schwall von Sätzen entgegenschmettern, von denen ich kein einziges Wort verstehe. In der ersten Atempause werfe ich dann schnell ein “Türkçe bilmiyorum” (Ich verstehe kein Türkisch) ein, woraufhin immer schnell aufgelegt wird. Anders heute Nacht, als ich mit einem Mal vor Schreck im Bett saß. Von meinem warmen Bettchen bis zum Telefon im Wohnzimmer wären es gute fünfzehn Meter gewesen, wobei ich noch über das halb aufgebaute auf dem Flurboden liegende Alubalkonregal im Dunkeln hätte springen müssen. Soviel Aktivität war dann doch nicht drin. Der Anrufer, wer immer es gewesen sein mag, war besonders hartnäckig und ließ erst nach dem elften oder zwölften Klingeln ab. Bis dahin war ich so wach, dass ich mir wünschte, ich wäre doch losgestürmt und hätte ihm wenigstens in einer mir bekannten Sprache so einiges Negatives ins Ohr gebrüllt.

Der Tag wurde nicht besser. Um viertel vor acht stöckelte ich los zur Bahn. Und ich dachte noch, dass die Treppe hinunter zur nächsten Straße so uneben und die Stufen so unregelmäßig sind, dass ich mich besonders vorsehen sollte – da hatte mein rechtes Knie schon die schmerzhafte Begegnung mit dem nächsten Treppenabsatz gemacht. Sofort stolperte ich wieder die Treppe hoch und bis in meine Wohnung, um mein aufgeschürftes Knie zu verarzten und die kaputte Feinstrumpfhose durch eine frische zu ersetzen. Ich hatte eigentlich noch Glück im Unglück:

Erstens bin ich nur mit dem rechten Knie aufgeschlagen. Normalerweise fällt man ja auf beide zugleich. Außerdem tut seitdem meine Kniescheibe nicht mehr weh, die gestern Abend ein wenig aufgemuckt hat.

Zweitens hatte ich ausnahmsweise große weiße Pflaster zu Hause. Für gewöhnlich bin ich ein großer Fan von Kinderpflastern mit lustigen Tieren oder Blumen darauf, was garantiert für Lachanfälle gesorgt hätte, denn mein gesamtes Outfit konnte ich nicht mehr schnell wechseln, so dass das weiße Pflaster inklusive roter Blutflecken den ganzen Tag unter meiner Strumpfhose hervorblitzte.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mir das letzte Mal die Knie aufgeschlagen habe. Schätzungsweise ist es aber mindestens zwölf Jahre her. Außerdem trug ich bei “meinen Risikosportarten” wie Inlineskating und Schlittschuhfahren immer Knie- und Ellbogenschützer (zumindest nachdem meine beste Freundin sich in einem Wettrennen das Kinn blutig geschlagen hatte). Aber damals gab es wenigstens jemanden, der mich tröstete. Ich musste heute ganz allein den Schmerz ausschalten und mich zum “Weiter geht’s” und Beeilen zwingen.

Beim zweiten Versuch und nur noch mit Ballerinas schaffte ich es unfallfrei bis zur Arbeit – wo ich feststellte, dass ich einen obligatorischen Termin am Freitag Nachmittag vollkommen vergessen hatte. Somit bin ich nun für die gesamte Woche ausgebucht: Morgen Abend findet ein Essen statt, übermorgen Nachmittag eine Konferenz und am Sonnabend gibt es einen Weihnachtsmarkt im Alman Lisesi, des privaten Deutschen Gymnasiums in Istanbul, dort sollte man sich auch einmal sehen lassen.

Nun ja, sagen wir mal, der Tag wurde langsam besser. Ich musste in der Bank (heute war ich pünktlich) nur eine halbe Stunde warten, bis ich endlich meine Stromrechnung mit einem Tag Verspätung bezahlen konnte; ich bin gesund nach Hause gekommen und ich konnte sogar den Hausmeister auf Türkisch fragen, wo die Gasrechnung blieb – und verstand die Antwort, sie käme bald.

In einer Stunde habe ich mein erstes Tandempartnertreffen. Mal sehen, wie es wird. Nach den bisherigen Tagesereignissen würde ich sagen, die Chancen stehen 50/50 …

Aber falls noch mehr schief geht, rufe ich später meine Eltern an und die müssen wenigstens einmal durchs Telefon pusten und “Heile, heile Gänschen” singen!

© janavar

(erstmals veröffentlicht am 23. November 2010)

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