Diesmal ein ernstes Thema:
Letzte Woche hörte ich von einer amerikanischen Bekannten, die sei über einem Jahr in Istanbul lebt, dass sie von ihrem türkischen Freund zusammengeschlagen wurde. Sie war für ein paar Tage bei ihm in Izmir und als sie sich stritten, würgte er sie, schlug ihren Kopf immer wieder an die Wand, bis sie ohnmächtig wurde, verprügelte sie, zerrte sie ins Bad und versuchte, ihr mit Rasierklingen die Schlagadern aufzuschneiden. Er ließ sie einen Tag lang nicht aus ihrer Wohnung, nahm ihr Handy und wusch ihr Blut ab. Danach fuhr sie allein im Bus von der Ägäis bis nach Istanbul, niemand sprach sie auf ihr Aussehen, z.B. zwei blaue Augen, an. Erst hier ging sie ins Krankenhaus. Sie sah nicht nur furchtbar aus, sondern hatte u.a. eine Gehirnerschütterung und eine gebrochene Nase. Einen Tag später ging sie zur Polizei und wollte ihren Freund anzeigen. Die Beamten sahen seine Schuld nicht, weil er ihr Freund und sie freiwillig bei ihm geblieben sei.
Eine andere Freundin erzählte mir, dass ihr Freund manchmal seine Gewalt an ihren Möbeln auslässt. Vor ein paar Monaten nahm er einen ihrer Stühle und schlug ihn so oft auf den Fußboden, bis er zerbrach. Später erklärte er ihr, dass es zwei Sorten von gewalttätigen Männern gebe, die eine schlägt die Frau, die andere nur die Möbel.
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Wir leben im 21. Jahrhundert. Gerade der März ist der Monat der Frau, am 8. ist der internationale Frauentag, Muttertag ist am 18. in Großbritannien und Irland (ändert sich jährlich), am 21. in den meisten arabischen Staaten. Seit Beginn des Jahres schaut die westliche Welt entsetzt auf die Gewalttaten in Indien.
Auf der letzten UN-Frauenkonferenz vom 4. bis 15. März in New York haben alle Mitgliedsstaaten
“strongly condemn[s] all forms of violence against women and girls.” (Art. 12)
“urge[s] States to strongly condemn all forms of violence against women and girls and to refrain from invoking any custom, tradition or religious consideration to avoid their obligations with respect to its elimination as set out in the Declaration on the Elimination of Violence against Women.” (Art. 14)
“stress[es] that all States have the obligation, at all levels, to use all appropriate means of a legislative, political, economic, social and administrative nature in order to promote and protect all human rights and fundamental freedoms of women and girls, and must exercise due diligence to prevent, investigate, prosecute and punish the perpetrators of violence against women and girls and end impunity, and to provide protection as well as access to appropriate remedies for victims and survivors.” (Art. 16)
“The Commission emphasizes that ending violence against women and girls is imperative, including for the achievement of the internationally agreed development goals, including the Millennium Development Goals, and must be a priority for the eradication of poverty, the achievement of inclusive sustainable development, peace and security, human rights, health, gender equality and empowerment of women, sustainable and inclusive economic growth and social cohesion, and vice versa.” (Art. 35)
Quelle: Commission on the Status of Women: “The elimination and prevention of all forms of violence against women and girls”.
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Im Vorfeld hatten sich insbesondere Länder mit dem Islam als Hauptreligion, z.B. Iran, Lybien und Ägypten, sowie der Vatikanstaat schwächere Formulierungen gewünscht, mit der Begründung, dass diese UN-Erklärung ihre Gesellschaftsordnung zerstören würde.
Offenbar sind diese Ordnungen von Gewalt an Frauen geprägt. Wenn ich die Beispiele aus der Türkei, die ich kenne, betrachte, lassen die Männer ihre Wut an ihren Freundinnen aus, weil … Weil sie es können, denn die Polizei schützt nicht die Frauen. Weil ihre Begründung ist, dass es ganz normal für ihre Familie (oder klischeehaft: für ihre Gesellschaft) ist und sie diese Bestrafung der Frau von kindauf gesehen haben. Weil die Frau ihre Ehre verletzt hat, die traditionell eines der höchsten Güter ist. Weil sie sich nicht anders wehren können und sich ohnmächtig fühlen. Weil sie meinen, ihre Macht an die Frau zu verlieren. Weil sie wissen, dass die Frau ihnen intellektuell voraus ist, aber weniger Kraft hat. Weil sie meinen, sie machen einmal Angst und danach ist die Frau ruhig gestellt. Weil sie manchmal gar nicht denken.
Immerhin gibt es in der Türkei insgesamt immer mehr Frauen, deren Fälle publik werden. 2012 sind über 11.000 Frauen in Frauenhäuser geflohen, 210 Frauen wurden von ihren Männern ermordet, Verschiedene Studien schätzen, dass zwischen 60 und 80% der türkischen Frauen Gewalt in der Ehe erleben. Genaue Zahlen können nicht gegeben werden, weil die Dunkelziffer unheimlich hoch ist. Manch ein Politiker unterstützt die Situation, so hat beispielsweise der Vorsitzende der Regierungspartei AKP, Mehmet Demir, pünktlich zum diesjährigen Frauentag erklärt, “bei Ungehorsam dürften Männer ihre Frauen leicht schlagen und ihnen damit Angst machen”.
Für die meisten ist Gewalt an Frauen offenbar immer noch normal, wobei ich nicht nur körperliche, sondern auch psychische Gewalt dazu zähle. In vielen türkischen Fernsehserien und Filmen ist sie ein häufiger Bestandteil. Manchmal wird auch gezeigt, wie böse die Frauen sind, quasi ungehorsam, wie es Demir ausgedrückt hat. (Wobei man natürlich nicht vernachlässigen darf, dass inzwischen auch die Gewalt von Frauen an Männern stetig steigt.)
Nach diesem März, in dem es an vielen Stellen um die Stärkung der Gleichberechtigung der Frau ging, und nach der Geschichte meiner Bekannten letzte Woche, wünsche ich mir ein noch größeres Bewusstsein für Gewalt an Frauen. Nicht nur in der Türkei. Aber irgendwie denke oder hoffe ich wenigstens, dass in Deutschland jemand die Frau fragen und Hilfe anbieten würde, wenn sie 12 Stunden lang übel zugerichtet mit einem Bus unterwegs ist. Dass die Nachbarn klingeln und nachfragen oder sofort die Polizei rufen, wenn sie einen offenbar eskalierten Streit und laute Schreie hören. Dass Frauen sich nicht einschüchtern lassen, weder von ihrem Mann noch von Polizisten.
Bildquellen:
Briefmarke: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stamp_Germany_2000_MiNr2093_Keine_Gewalt_Frauen.jpg
“No Violence against Women”: http://pincel3d.deviantart.com/art/No-Violence-against-women-50479439
© janavar
15 thoughts on “Kein Mann hat das Recht, eine Frau zu schlagen”