Donnerstag Nacht um zehn entschied ich mir zur Flucht. Ich hatte die ganze Woche täglich bis etwa halb zwölf durchgearbeitet und alles, was für das Wochenende geblieben wäre, wäre ein Putzmarathon gewesen. Aber Putzen liegt mir ja nicht so und außerdem hätte es meinen Kopf so schrecklich frei gemacht. Also eine Flucht vorm Putzen und vor einem Wochenende in Istanbul. Ich holte mein heiliges Buch unter allen Reiseführern hervor, den Lonely Planet Turkey und suchte während des Lesens gleichzeitig bei Turkish Airlines nach günstigen Flügen. Und so fiel meine Wahl spontan auf Izmir, die drittgrößte Stadt der Türkei, die an der Ägäis liegt und für dieses Wochenende Sonnenschein bei 20°C versprach.
Direkt nach Schulschluss fuhr ich mit meinem Köfferchen zum Atatürk Flughafen und flog 45 Minuten Richtung Süden (etwa genauso lange dauerte das Warten im Flugzeug in Istanbul auf Starterlaubnis). Irgendwie schaffte ich es, eine Fahrkarte zu kaufen, obwohl mal wieder niemand Englisch konnte, und saß bald im Zug vom Flughafen nach Izmir. Wo mir als erstes der fürchterliche Gestank auffiel. Wie eine Müllkippe. Entweder gewöhnte ich mich schnell daran oder er wurde bei der zweiten Fahrt mit der Metro ins Stadtzentrum besser. Als ich noch in Schulkluft – also Etuikleid und Hackenschühchen – zum Hotel trippelte, fiel mir schon auf, dass die Stadt trotz ihrer ca. 3 Millionen Einwohner doch eher provinziell scheint – oder ich bin einfach anders. Zugegebenermaßen habe ich kein schickes Hotel gewählt, sondern ein günstiges in der Basargegend. Wobei günstig im Verhältnis zu meinen bisherigen Türkei-Erfahrungen mit 38€ pro Nacht immer noch extrem teuer ist, v.a. wenn ich mir mein kahles, schmales Einbettzimmer hier so betrachte. Schön ist etwas anderes, gut auch. Aber wenigstens können alle Angestellten Englisch und es gibt einen grauen Papagei, der einen glücklich krächzend empfängt.
Dafür bin ich auch sofort im Gewühl, wenn ich das Hotel auf der Anafartalar Caddesi verlasse. Sofort befinde ich mich auf dem großen Basar, der sich fast bis zum Wasser zieht. Nach einem eher kurzen Spaziergang gestern Abend, stürzte ich mich heute früh kurz nach 9 ins große Getümmel. Beim schönsten Wetter mit einem knapp knielangen, bunten Kleid, flachen Schuhen, Strickjäckchen und großer Sonnenbrille bekleidet, ging’s los. Als erstes stellte ich fest, dass ich weiterhin die einzige bin, die in der Türkei bei 20°C Hitzewallungen bekommt, die meisten Leute liefen immer noch im Wintermantel herum. Als zweites, dass ich die einzige in einem bunten Kleid war, dass auch noch Bein zeigte. Hier wird doch eher auf den konservativen Kopftuch-auf-und-langer-Mantel-an-Look geschworen. Aber obwohl mir v.a. die Männer eindeutig hinterherguckten, sprach mich keiner an. Vielleicht lag’s an meinem Reiseführer in der Hand, an der fetten Sonnenbrille, die jeden Blickkontakt unterband, oder an einem mittlerweile eingeübten etwas genervten, arroganten Gesichtsausdruck meinerseits. Wer weiß. Aber es funktionierte. Als drittes stellte ich dann leider fest, dass die Agora, im antiken Griechenland der zentrale Platz eines Ortes, ausgerechnet in diesem Jahr wegen Restaurierungsarbeiten gesperrt ist. Zum Trost lief ich durch die Basargassen und kaufte mir ein paar Schmucksteine (Achat, Koralle, Tigerauge und Türkis), die hier v.a. im Vergleich zu Deutschland spottbillig sind, um demnächst mir einzigartige Ketten zu basteln.
Den Rest des wunderschönen Tages verbrachte ich in erster Linie damit, am Wasser entlangzuspazieren oder am Wasser zu sitzen und Tee zu trinken sowie ausführlich die einzige türkische Tageszeitung auf Englisch, die Hürriyet Daily, zu lesen und mir ein paar Gedanken zur gegenwärtigen Politik zu machen. Außerdem besuchte ich das Ethnographische Museum, das sich bei freiem Eintritt und interessanten Ausstellungsstücken wie osmanische Waffen sowie Erklärungen zum Kamelwrestling definitiv lohnt, und das Archäologische Museum direkt nebenan, dass man sich für 8 Lira (4€) und fast nur kopflosen Statuen (noch nicht einmal nackte) und ein paar Tongefäßen schenken kann. Auch der Kulturpark mitten in der Stadt lohnt sich, zumal es dort fatastisch nach Frühling duftet.
Da frische Luft und große Massen Tee mich irgendwie müde machen, habe ich mich heute für einen ruhigen Abend in meinem Hotelzimmerchen mit mir und dem Fernseher entschieden. Für morgen bleibt gar nicht mehr so viel über, da Izmir trotz seiner mindestens 5000 Jahre alten Geschichte wegen diverser Feuer wenig antike Überreste zu bieten hat – vielleicht besichtige ich das Atatürkhaus oder sitze einfach weiter am Wasser und tanke Sonnenglücksmomentchen, bis der Flieger mich abends um 9 wieder zurück ins große Istanbul bringt.
Einige Eindrücke des Tages in Bildern:
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 26. März 2011)