Wie ich meinen Job in Istanbul bekam

Nachdem ich euch neulich erzählt hatte, wie ich überhaupt auf die Idee kam, auszuwandern [lies hier], habt ihr gefragt, wie ich am Ende in Istanbul landete. Das war so:

Während meines zweijährigen Referendariats hätte ich am liebsten dreimal täglich den Job geschmissen, musste aber bei jedem Telefonat – auch etwa dreimal täglich – meinen Eltern versprechen, dass ich das Ref zu Ende bringen würde. Weil ich davon ausging, dass ich sowieso beim ersten Mal durchfallen würde, kümmerte ich mich lange Zeit nicht um meine Idee, direkt nach dem Zweiten Staatsexamen an eine Auslandsschule zu gehen. Ein Dank gilt an dieser Stelle meinen Fachleitern, von denen mir einer schon beim ersten Unterrichtsbesuch erklärte, zwischen uns gebe es ein Generationsproblem, womit er auch jede Note begründen konnte (bzw. können eigentlich nicht, aber es tat).

Schließlich aber hatte ich Glück und eine Ausbildungslehrerin, die vorher im Ausland gewesen war und mich ermutigte, meine Bewerbung endlich ans Bundesverwaltungsamt zu senden. Das BVA wiederum lud mich bald ein zum Psychotest mit anschließendem Interview – der Brief kam am Tag vor der Zweiten Staatsexamensprüfung an, so dass ich mich selbst noch etwas mehr unter Druck setzte. Übrigens nur um am Ende zu hören: “Das war doch immer klar, dass Sie bestehen.” Ah ja.

Tatsächlich war dieser Tag in Köln beim BVA für mich sehr aufregend, weil ich unbedingt ins Ausland wollte. Ich übernachtete bei einer Freundin und war am nächsten Morgen pünktlich wie viele andere Mitbewerber beim Test. Während ich sehr nervös war, hörte ich von anderen, dass sie sich nur beworben hatten als Alternative, falls sie keine Beamtenstelle bekämen. Ich hingegen hatte mich auf keine einzige Beamtenstelle beworben. Das Ergebnis des Psychotests beschrieb meine Persönlichkeit absolut treffend (ja, ich bin sehr direkt, kann mich neuen Situationen schnell anpassen und hochintelligent bin ich auch – wobei das wusste ich vorher nicht so genau) und das Interview verlief für mich auch super. Zufällig Bewusst hatte ich meine beiden Staatsexamensarbeiten im Fach Deutsch als Fremdsprache geschrieben, so dass wir viel darüber  sprachen.

Etwa eine Woche später wurde ich in die Bewerberkartei des BVAs für alle Auslandsschulen aufgenommen. Meine Fachleiter und Mitreferendare erzählten mir, ich würde den Fehler meines Lebens begehen. Jeder vernünftige Mensch lasse sich erst verbeamten und gehe später ins Ausland – wenn überhaupt. Ich hingegen hege eine ziemliche Abneigung gegen den Beamtenapparat. Als erstes rief mich ein Direktor einer Schule in Kolumbien an. Aus einer Stadt, die ein riesiges Drogenkartell ist. Wo die Lehrer in abgesperrten Siedlungen zusammenleben. Dennoch hätte ich fast zugesagt, weil ich einen Job brauchte. Dabei wollte ich gar nicht nach Südamerika. Für viele andere scheint es der absolute Traum zu sein, einmal an einer Auslandsschule in Südamerika zu arbeiten und den Kontinent zu bereisen. Für mich ist es eher ein Albtraum.

Zum Glück rief mich an einem Vormittag, als ich gerade auf dem Weg zur Schule war, mein Direktor aus Istanbul an und verkaufte mir seine Schule als großartig. Eine Schule mit ausschließlich hochintelligenten Schülern. Am Nachmittag schaute ich mir noch die Webseite an und dann war für mich klar, dass ich genau an dieser Schule arbeiten wollte. Endlich würde ich keine Probleme mehr damit haben, dass ich den Unterrichtsinhalt nicht in winzigen Schrittchen an die Schüler bringen konnte – ja, ein wichtiger Kritikpunkt im Ref: Schüler sind nie zu dumm, es liegt am Lehrer. Selbst wenn ein Deutschleistungskurs in der 13. Klasse keine eindeutige Ironie in einem Heine-Gedicht am Ende einer Unterrichtseinheit erkennen kann. Es liegt am Ausbildungslehrer und dem Referendar …

Ich traf meinen Direktor eine Woche später in Köln zu einem Bewerbungsgespräch (meine Schüler hatten mir viel Glück gewünscht, aber selbst die mit afghanischen und irakischen Eltern hatten mich ernsthaft gefragt: “Wat woll’n Se denn bei den Türken?”) und war tierisch nervös, weil ich den Job unbedingt haben wollte – und ich bekam ihn, was mich dann direkt vom nervösesten zum glücklichsten Menschen der Welt werden ließ. Ich weiß noch, dass ich am Ende Luftsprünge vor Freude machte und dachte, reiß dich zusammen, sonst denkt der noch, der stellt eine Verrückte ein.

Erst nach dem Vorstellungsgespräch flog ich nach Istanbul, um mir die Schule anzusehen (in den Sommerferien) und eine Wohnung zu suchen. Auch wenn ich mich blind entschieden hatte, ohne je zuvor in der Türkei gewesen zu sein, ohne die Schule oder die Stadt zu kennen – es war definitiv die richtige Entscheidung.

© Janavar

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6 thoughts on “Wie ich meinen Job in Istanbul bekam”

  1. Das hört sich mega spannend an 🙂 Und wenn du jetzt sowieso schon dabei bist ein wenig zu erzählen (Auswandern, Job…) dann würde mich noch interessieren wie du deinen Liebsten kennengelernt hast 🙂
    Schönen Wochenstart!

  2. Das hört sich wirklich toll an.. Als ich damals meinen unbefristeten Vertrag im öffentlichen Dienst aufgehoben habe, um zu studieren, haben auch alle gesagt ich wäre verrückt…
    War aber, aus heutiger Sicht, das Beste was mir passieren konnte..
    Mein Arbeitgeber hatte damals kalkuliert, dass ich sowieso nicht gehe.
    Ursprünglich wollte ich nur meine Stunden reduzieren und nebenbei studieren wollte. Das ging aber nicht, man könne mich nicht “entbehren”.Ich musste kündigen bevor ich eine Zusage für einen Studienplatz hatte. Ich habs getan…
    Manchmal muss man einfach was riskieren..

  3. Sehr interessant zu lesen, danke! Ich war noch nie in Istanbul, mein Freund schon und meint, wir müssen unbedingt mal hin. Das werden wir bestimmt – sind ja nur 4 Stunden mit dem Auto 🙂

    Dir weiterhin alles Gute!

  4. Offensichtlich hast Du alles goldrichtig gemacht. Ich finde es gut, dass Du auf Dein Herz hörst und nicht darauf, was andere sich für sich selbst wünschen und auf Dich projizieren. Schließlich musst Du in Deinem Leben glücklich sein.

    Ich würde auch gern erfahren, wie Du deinen Lieblingsmenschen kennengelernt hast, wie Du zu Canavar gekommen bist und natürlich, ob Deine Schüler sich tatsächlich als die hochintelligenten Superschüler herausgestellt haben und die Ironie in einem Heine-Gedicht selbst erkennen. 😉

  5. Ah, ich beneide dich! 😀 Finde ich super, wie du dein Leben in die Hand nimmst und vor unbekanntem nicht zurückschreckst. 😀

    Wenn ich mal wieder in Istanbul bin, dann würd ich dich sehr gerne mal kennenlernen. ^_^

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