Unser Hundertjähriger verschwand zum Glück nicht

Als mein Opa am 6. August 1913 geboren wurde, lebte er im Königreich Österreich-Ungarn. Ab 1918 wurde daraus die Tschechoslowakei, in der mein Opa in einem Austauschjahr als Schüler bei einer Familie einige Städte weiter Tschechisch lernte; bis das Gebiet 1938 nach dem Münchener Abkommen vom 3. Reich annektiert wurde. Nach dem Krieg mussten seine Familie und er flüchten, wobei die Hälfte in Mecklenburg, die andere in Baden-Württemberg landete. In der DDR arbeitete er wie vorher schon im Sudetenland als Bauer, erst selbständig, dann in der LPG. Später als Rentner durfte er seine Verwandten in der BRD besuchen, bevor beide Länder 1990 wiedervereinigt wurden. Bis er dann etwa 95 Jahre alt war, ist er fast täglich einige Kilometer Fahrrad gefahren, hat von Frühling bis Herbst nach dem Tod meiner Oma alleine in seinem Haus und im Winter bei seiner Tochter in München gelebt. Später, als er häufiger gefallen ist, hat er sein Haus verkauft und war fast die ganze Zeit in München. Dort hat er bis zum letzten Jahr noch fast jedes Skatspiel gewonnen. Erst in diesem Januar ist er nach Rostock ins Altenheim gezogen.

Auch an seinem Geburtstag vor zweieinhalb Wochen war er noch fit. Natürlich brauchte er einen längeren Mittagsschlaf, bevor die 100. Geburtstagsfeier begann, doch dort konnte er sich mit allen unterhalten, hat Sekt getrunken und ordentlich gegessen beim Kuchen- und Abendbüfett. Er weiß ganz genau, dass sein Kopf noch sehr gut funktioniert – “Die meisten hier [im Heim] sind verrückt, ich bin nur alt.” – aber leider baut der Körper mit 100 stark ab. Dennoch geht er meistens am Rollator spazieren, braucht wenig Hilfe beim Essen und hat nur wenige Erinnerungsaussetzer.

Auf die Frage, wie man 100 Jahre alt wird, hatte er einfache Antworten:

1. Sich alles gönnen.

2. Öfter einen trinken.

3. Aber alles in Maßen.

Da es meinem Opa so gut geht, hoffe ich natürlich, dass wir im nächsten Jahr seinen 101. Geburtstag feiern können. Oh, und dass ich seine Gene geerbt habe. Weil es schwierig ist, einem 100-Jährigen etwas zu schenken, hat er vom Lieblingsmenschen und mir das Buch “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand” bekommen.

© janavar

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6 thoughts on “Unser Hundertjähriger verschwand zum Glück nicht”

  1. Eine interessante Lebensgeschichte und der meiner Großeltern nicht unähnlich. Schön, dass es ihm so gut geht. Ich drücke ganz fest die Daumen für die 101!

    Dir ein schönes Wochenende!
    Corinna

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