In den letzten Monaten, noch mehr in den letzten Wochen wird das Thema Religion überall thematisiert. Seit ich in der Türkei lebe, bin ich für das Thema viel sensibilisierter als früher. 2010 war die Türkei noch ein relativ laizistisches Land. Inzwischen dürfen Mädchen bzw. Frauen in Schulen, Universitäten und allen staatlichen Behörden ein Kopftuch tragen. Seit Neuestem haben alle Schulen Gebetsräume für Muslime. Bei uns ist der für die Mädchen übrigens im Keller, direkt gegenüber der müffelnden Jungstoilette.
Noch letzte Woche verteidigte Premierminister Davutoğlu die Meinungs- und Pressefreiheit in Paris, dann kritisierte er am Wochenende stark sowohl “Charlie Hebdo” als auch die türkische Tageszeitung Cumhurriyet, die die Karikaturen ebenfalls abdrucken wollte. Diese seien eine Provokation und eine Beleidung aller Muslime. In der Zeitungsredaktion wurde eine große Razzia durchgeführt, türkische Webseiten mit den Karikaturen wurden zensiert.
Einerseits spielt die Religion in der Türkei eine immer größere Rolle, andererseits haben viele Menschen Angst vor Extremisten wie IS. Was ich erlebe, ist, dass in vielen Fällen leider Religion mit Macht und Kontrolle vermischt wird. Die Regierung verletzt Menschen- und Grundrechte im Namen der Religion, die dafür gar nichts kann. Viele sagen, dass in der Türkei vor zwanzig Jahren die Karikaturen wohl ohne Probleme veröffentlicht und dann in der Gesellschaft diskutiert worden wären.
Was mich bestürzt, ist die im Moment augenscheinlich größerwerdende Intoleranz gegenüber Religionen und auch dem Nichtglauben. Im Namen von Religion werden Länder erobert, terroristische Taten begangen, Grundrechte ausgehebelt – aber leider hat dies eine jahrhundertealte Geschichte, wenn wir z.B. an die Kreuzkriege und den Dreißigjährigen Krieg denken. Unter anderem im alten Rom wurden die Christen verfolgt, im 21. Jahrhundert die Juden. Nun gibt es antiislamische Haltungen (ich habe mich in diesem Text mehr auf die Türkei bezogen, weil ich merke, dass mir nach viereinhalb Jahren im Ausland für die Pegida-Bewegung in Deutschland inzwischen der Bezug und somit umso mehr das Verständnis fehlt). Manchmal kommt es mir vor, als würde sich das Rad der Geschichte immer um die eigene Achse drehen und dieselben Schlechtigkeiten an verschiedenen Gruppen wiederholen.
Mehr Toleranz müssen wir endlich entwickeln, wenn wir nicht immer wieder die gleichen Fehler begehen und sie hinterher bereuen wollen. Mein Freundeskreis setzt sich aus Atheisten, Agnostikern, Protestanten, Katholiken, Evangelisten und Sunniten zusammen. Wenn es im kleinen Kreis funktioniert, sollte sich das doch auch ausweiten lassen. Zumindest aber sollte niemand seine Religion benutzen, um andere einzuschränken oder zu verletzen, und schon gar nicht sie als vorgeschobenen Grund angeben, um eigentlich mehr Macht zu erlangen oder zu festigen, um die eigene Meinung ohne nachvollziehbare und rationale Argumentation durchzusetzen, oder andersherum um sich zu verstecken, passiv zu sein und auf jemanden zu warten, der einen führt und selbständige Entscheidungen abnimmt.
Noch vom Sommer habe ich übrigens diese Fotos der Chora-Kirche in Istanbul, die heute als Museum berühmt für ihre Mosaiken und Fresken ist. An einem Tag bin ich mit meiner Freundin nach Fatih gefahren, um die alte Kirche endlich selbst zu besichtigen. Das für mich Großartige war auch, dass meine Freundin, eine Religionslehrerin mir zu all den Bildern die Bibelgeschichten erzählen konnte. Die Chora-Kirche wurde übrigens nach der Eroberung Istanbuls durch die Osmanen in eine Moschee umgewandelt, bevor sie im 20. Jahrhundert ein Museum wurde.
Was meint ihr zu dem Thema?
© Janavar
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