Die Türkische Republik feiert heute ihren 90. Geburtstag, wozu ich auch hier auf meinem Blog noch einmal herzlich gratuliere. Am 29. Oktober 1923 rief Mustafa Kemal Atatürk die Republik aus und wandelte die Reste des untergegangenen Osmanischen Reiches in eine modernen, säkularen und westlich orientierten Staat um.
Ich möchte heute keine politische Diskussion anstoßen, aber es dürfte den Lesern, die mein Blog schon länger verfolgen, ohnehin klar sein, dass ich mit der Zeit eine glühende Verehrerin Atatürks geworden bin (- und ja, ich bin mir trotzdem auch seiner Fehler bewusst). Das war vor drei Jahren, als ich gerade erst in der Türkei angekommen war, übrigens nicht so, sondern hat sich erst mit der Zeit entwickelt, besonders mit meinem größeren Verstehen und Verständnis der türkischen Geschichte, Gesellschaftsstruktur und Mentalität. Als Atheistin liebe ich die Idee eines strengen Laizismus.
Aber diese Idee wurde nach 90 Jahren vor einigen Wochen von der AKP-Regierung begraben, als das Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen aufgehoben wurde. Stattdessen gibt es ein weiterreichendes Alkoholverkaufsverbot, ist ja besser als nichts, ne?! Heute Abend feiert sich Ministerpräsident Erdoğan vor allem selbst, wenn er den Metrotunnel unter dem Bosporus eröffnet – auch wenn dieser Jahre zu spät fertig gestellt wurde, nur ein winziger Teil des eigentlich geplanten Metrosystems ist und Fachleute die beworbene Erdbebensicherheit anzweifeln. Die eine Hälfte des Volkes feiert mit Erdoğan und freut sich auf/über sein verkündetes Ziel, bis zum 100. Republiksgeburtstag, also 2023 die Türkei wieder zu einem mächtigen Staat nach dem Vorbild des Osmanischen Reiches verwandeln zu wollen.
Die andere Hälfte hat heute den Geburtstag der Republik und ihren Gründer Atatürk gefeiert. Tausende sind zu Demonstrationen auf die Straße gegangen, die bisher weitestgehend friedlich verlaufen sind. Schon seit Tagen riefen Plakate und Handzettel zu den Protesten auf mit der Parole: “Für eine neue Republik. Gegen die AKP.” Sämtliche Oppositionsparteien, Gruppierungen, Gewerkschaften (ja, auch die gerade von der AKP verbotenen) waren an der Organisation beteiligt. Selten sind diese verschiedenen Gruppen so vereint wie in den Protesten gegen die Regierung und für eine Türkische Republik im Sinne Atatürks.
Wir haben heute übrigens unsere türkische Flagge aus dem Fenster gehängt. Mit Atatürk darauf. Etwas was ich auch vor drei Jahren noch nicht getan hätte.
© janavar
Interessant, wie Du zu einem politischen Menschen wirst. Mir wird von Politik eigentlich immer nur schlecht.
Ich war schon immer politisch interessiert. Darunter mussten früher schon meine Mitmenschen “leiden”, als ich Chefredakteurin der Schülerzeitung war :-). Aber von der türkischen Politik hatte ich zu Anfang überhaupt keine Ahnung, das kommt erst peu á peu.