โThere is a whole world outside your comfort zone.โ
Ich mag meine Komfortzone. Gerade zum Beispiel liege ich auf meinem Hotelbett in White Plains, kann aus dem Fenster im 12. Stock auf die vielen Lichter gucken, habe die Heizung an und neben mir eine Tasse Tee. Ich habe meine Arbeit auf dem Arbeitstreffen fรผr heute erledigt, kann die Beine hochlegen und spรคter gehen wir noch zusammen essen. Das sind alles Dinge, die ich kann und mag.
Seitdem ich in den USA lebe, verlasse ich meine Komfortzone aber oft und stelle immer fest, wie bereichernd dies ist. Unter anderem war ich vor eineinhalb Wochen beim Wandern โ was etwas ist, was ich generell einfach nie tue. Ich mache Strand- oder Stadturlaub, aber keinen Wanderurlaub. Wenn meine Freunde mich fragten, ob ich nicht mit ihnen durch die tรผrkischen Gebirge wandern wollte, lehnte ich dankend ab. In diesem Falle konnte ich aber nicht ablehnen, denn es handelte sich um eine Klassenfahrt, die bereits gebucht wurde, bevor ich รผberhaupt nach Boston zog.
Zรคhneknirschend ergab ich mich daher meinem Schicksal, weigerte mich, eine Wanderausrรผstung zu kaufen, und hoffte das Beste. Schlieรlich gehe ich oft spazieren, was kann da schon groร anders sein? Ich meine, der Mount Cardigan ist nur 962 Meter hoch. Es ist doch anders. Wir waren insgesamt zweieinhalb Tage in der Cardigan Lodge, die am sรผdlichen Ende der White Mountains liegt. Zum Glรผck gibt es dort auch Filterkaffee, so dass meine Laune prinzipiell gerettet war. Das Wetter war auch sehr schรถn. So weit so gut. Aber niemand konnte mich darauf vorbereiten, dass so ein Marsch auf den Berg stundenlang dauert und ziemlich anstrengend ist. Vor allem den Berg hoch geht es vor allem รผber steile Wege, die natรผrlich nicht befestigt sind.
In der Tรผrkei kann man meiner Erfahrung nach fast jeden Berg mit dem Auto hochfahren, weil es relativ gute Straรen gibt. Oben wartet immer mindestens ein winzig kleines Teecafรฉ auf einen. Nicht in den USA. Ich musste meinen Rucksack selbst den Mount Cardigan hochtragen und damit auch meine Wasserflasche sowie mein Mittagessen. Immerhin machten wir unterwegs mehrere Pausen, sonst hรคtte ich mit meiner schlechten Kondition wohl aufgeben mรผssen. Die Aussicht hingegen war die Mรผhen definitiv wert, denn schon bald konnte man hinunter auf den bunten Herbstwald und die wolkenbehangenen Tรคler gucken.
Der anstrengendste Teil fรผr mich war der letzte Weg hinauf auf den Gipfel, weil dort nur blanker Fels ist. 1855 gab es einen groรen Waldbrand, durch den die Bergspitze freigelegt wurde. Innerlich war ich verdammt froh, als ich sah, dass alle anderen mit ihren Wanderschuhen genau dieselben Probleme wie ich hatten, Halt zu finden. Denn ich hatte mich ja geweigert, Wanderschuhe zu kaufen. Umso toller war das Gefรผhl, als ich endlich oben auf dem Mount Cardigan stand und auf die Welt hinunterschauen konnte.
Auch wenn es auf so einem Berg viel kรคlter und windiger ist, ist es ein fantastisches Gefรผhl, vor allem fรผr einen Nicht-wanderer wie mich. Ich bin also etwas unkontrolliert herumgelaufen und habe hundert Fotos von jedem nur erdenklichen Winkel geschossen. Und ich habe mich einfach gut gefรผhlt, weil ich mich trotz innerer Ablehnung รผberwunden konnte bzw. musste, auf den Berg zu wandern.
Der Rรผckweg war auch nicht viel einfacher, weil es bergab fast noch rutschiger ist und ich auch ziemlich mรผde war. Da bin ich doch zwei- oder dreimal etwas ausgerutscht und habe mein Knie angeschrammt. Das war so klar und eben auch nichts Neues. Mehr oder weniger nebenbei war ich auch als Aufsichtsperson am Ende unserer Wandergruppe verantwortlich. Aber meine Schรผler waren definitiv schneller und fitter als ich. Allerdings gehen viele von ihnen regelmรครig wandern.
Am Ende war ich doch froh, als wir wieder an der Herberge ankamen und ich mir erst einmal einen groรen Kaffee gรถnnen konnte. Aber oben auf dem Gipfel zu stehen, ist auch ein wahnsinnig gutes Gefรผhl. Fรผr mich war es, als hรคtte ich etwas Groรartiges geschafft โ eben weil ich bisher hรถchstens mit dem Auto bis oben gefahren bin. Deswegen wird Wandern nicht meine neue Lieblingsbeschรคftigung, aber ich habe gelernt, dass ich auch so einen Tag รผberstehe und mich riesig freue, wenn ich das Ziel erreicht habe. Was bei mir definitiv nicht passieren wird, ist, dass der Weg das Ziel ist. Ich bin doch eher ziel- als prozessorientiert und finde wirklich, dass so eine Bergspitze der perfekte Ort fรผr ein kleines Cafรฉ wรคre.
Eventuell bleibt mir auch gar nichts anderes รผber, als im nรคchsten Jahr wieder auf diese Fahrt mitzufahren und mit etwas mehr Ahnung auf den Berg zu steigen. Ich weiร jetzt aber, dass das trotz der Anstrengung halb so schlimm ist und ich dann immerhin รผber den Wolken bin und das ist ziemlich cool.
ยฉ janavar
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