Die Zeit vergeht unglaublich schnell. Gerade noch habe ich meine Wohnung in Istanbul aufgelöst, bin mit Canavar am 2. Juli ins Flugzeug gestiegen – und schon leben wir seit drei Monaten in den USA. Drei Monate sind ein Sommer, ein Vierteljahr, 13 Wochen oder 92 Tage. In diesen bin ich hier sehr gut angekommen, habe nach einem langen Sommerschlaf meine Energie und einen sehr aktiven Alltag gefunden. Seit über fünf Jahren besitze ich wieder ein Fahrrad, ich falle nicht mehr jeden Freitagabend ins Erschöpfungskoma, ich probiere viele neue Dinge aus wie z.B. Tanzen.
Ich vermisse die Türkei, denn fünf Jahre sind eine lange Zeit. Deutschland vermisse ich gar nicht. Ich dachte, ich würde mich auf das “westliche” Essen freuen, aber in den drei Monaten habe ich vielleicht dreimal Schweinefleisch gegessen. Viel glücklicher bin ich, seit ich die türkischen Lebensmittel gefunden und zum Frühstück wieder weißen Käse und Oliven essen kann. Ich verhalte mich in vielen Situationen auch wie in Istanbul, mag Kassierern nicht das Geld in die Hand drücken, sondern es lieber auf den Kassentisch legen, auch wenn das hier als unhöflich gilt. Was ich nicht so vermisse, sind das Chaos und die dreckige Luft. Die täglichen Staus, die schnell zwei oder drei Stunden deines Lebens stehlen – jeden Tag. Hier ist alles etwas ruhiger und auch rationaler. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich die Emotionalität vermisse. Hier schreien sich Paare nicht auf der Straße an, keiner prügelt sich, keiner weint. Hier läuft alles rationaler, man entschuldigt sich schnell, arbeitet, auch wenn man den Kollegen persönlich vielleicht nicht so mag. Aber ich frage mich manchmal, wo hier die großen Gefühle bleiben.
In den drei Monaten hier haben Canavar und ich uns sehr gut eingelebt, was einfach ist, wenn man 1) als Kater die Wohnung nicht verlässt und nur manchmal mit den anderen Katzen im Haus durch Miauen kommuniziert; und sowieso ist alles gut, solange nur das Katzenfutter schmeckt; wenn man 2) wie ich bereits die englische Sprache beherrscht und schon vorher im Ausland gelebt hat. Ich wusste genau, worauf ich mich einließ bzw. einlasse. Gerade die Behördengänge und auch Bankenbesuche fallen mir hier leicht. Ich habe Englisch studiert, über ein Jahr in Irland gelebt, ich verstehe alles, mal abgesehen von ganz schlimmen Dialekten.
Es gibt das türkische Sprichwort “Eine Sprache, ein Mensch. Zwei Sprachen, zwei Menschen.” Ich glaube tatsächlich, dass ich etwas verschiedene Persönlichkeiten habe, wenn ich in einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache lebe. Meine englischsprachige Identität ist wie schon in Irland viel kontaktfreudiger, charmanter und sogar ein bisschen witzig. Mir fällt es leichter, Kontakte zu knüpfen und mich einfach mit der netten Frau aus dem Ballettkurs auf einen Kaffee zu verabreden oder mich auf ein völlig spontanes Date an einem Samstagnachmittag in einem Pub einzulassen.
Gerade mag ich mich und mein Leben sehr gerne, bin tiefenentspannt und gutgelaunt. Ich habe Abwechslung und Spaß bei einer mindestens Vierzigstundenwoche auf der Arbeit. Ich würde die Türkei manchmal gerne etwas mehr vermissen, aber sie ist weit weg, und ich merke, dass mir mein etwas langsameres, gemäßigteres Leben in den USA einfach guttut.
Time is ticking away really fast. I have just dissolved my household in Istanbul, got together with Canavar on the airplane on 2 July – and now we have already been living in the US for three months. Three months, that is a whole summer, a quarter of the year, 13 weeks or 92 days. During these I have settled in very well, have found my energy and a very active everyday life after a long estivation. I have got a bike again after more than five years, I don’t lapse into an exhaustion coma anymore every Friday evening, I try many new things like dancing.
I miss Turkey because five years are a long time. I don’t miss Germany at all. I thought I was really looking forward to all the “western” food, but during these three months I have eaten pork maybe trice. I am much happier since I have found Turkish food and can again have white cheese and olives for breakfast. In many situations I behave just like in Istanbul, I don’t like pressing money into a cashier’s hand, but rather put it on the cash desk even though that is here regarded as impolite. What I don’t miss as much are the chaos and the polluted air. The daily traffic jams which easily steal two or three hours of your life – every day. Here everything is a bit more quiet and also more rational. I haven’t yet decided if I miss the emotionality. Here couples don’t scream at each other in the streets, nobody picks a fight, nobody cries. Here rationality is more important, people apologize quickly, they work together well even though they might not like each other that much. But sometimes I wonder where (or rather wether) there is space for grand emotions.
In these three months here Canavar and I have settled down very well, which is easy when 1) as a cat one never leaves the apartment and only sometimes communicates via meowing with the other cats in the house; and anyway everything is grand as long as the cat food tastes good; when 2) like me one already commands a language and has lived abroad before. I knew exactly what I have got myself into. I find especially visits to the authorities and banks here simple tasks. I mean I majored in English, lived in Ireland for more than a year. So I do understand everything, except for really thick accents.
There is a Turkish saying “One language, one person. Two languages, two persons.” I indeed believe that I have slightly different personalities according to the culture I live in and language I speak. My English speaking personality is just like in Ireland more outgoing, more charming and even a little fit funny. I find it easier to socialize, and to for instance just arrange to meet that nice woman from my ballet class for a coffee, or to let myself in for a totally spontaneous date in a bar on a Saturday afternoon.
Right now I like myself and my life here very much, I am deeply relaxed and cheerful. I have got variety and fun next to an at least forty-hour work week. Sometimes I would like to miss Turkey a bit more, but it is far away, and I have started to notice that the slower, more moderate life in the US is doing me good.
© Janavar
Ich mag deine Berichte und finde es total spannend, wie Du von deinen Erlebnissen erzählst. Und es ist schön zu lesen, dass Du dich in den USA wohlfühlst 🙂 Das sieht man auch!
LG Farina