Ihr Lieben,
ich habe letzte Nacht bis halb eins gearbeitet und bin dementsprechend heute in einem Stadion zwischen müde und aufgedreht. Auch wenn der Tag lang ist, ist er eher ruhig, zumal ich gestern so viel abgearbeitet habe. Ich habe auch eine lange Mittagspause, in der ich mich eigentlich in Starbucks hier mitten an der Hauptstraße der Altstadt setzen und Touristen beobachten wollte. Aber auf einmal wimmelt es überall nur so von Touristen, so als würden sie vor dem eisigen Wetter in Mitteleuropa ins frühlingshafte Istanbul fliehen, und sie besetzen alle Tische.
Spontan habe ich also umdisponiert und mir einen Chai Tea Latte to go geholt und mich mitten ins alte Hippodrom gesetzt, zwischen der Aya Sofya und der Blauen Moschee. Gerade so konnte ich noch eine Bank ergattern und genieße nun die wirklich warme Sonne mit hochgekrempelten Pulloverärmeln. Für eine Jacke ist es heute ohnehin zu warm, obwohl ich natürlich eine dabei habe. Vor mir plätschert der große Springbrunnen, dessen Glaszaun gerade von außen akribisch geputzt und poliert wurde, hinter mir wartet eine ganze Schlange von Sightseeingbussen auf Gäste. Am Eingang der Aya Sofya, die ich im Moment nur so gut sehen kann, weil die Bäume hier noch keine Blätter haben, und über dem eine türkische Fahne leuchtend flattert, gibt es eine lange Menschenschlange. Die goldenen Minarettenspitzen der Blauen Moschee glänzen in der Sonne und die Palmen und blühenden Stiefmütterchen verleihen ein Frühlingsurlaubsgefühl.
Überall laufen Massen von Touristen herum. Asiatinnen schieben ihre kleinen Kinder herum, eine dänische Schülergruppe, in der alle Jungen Jeans und ein kariertes Hemd und die Mädchen den gleichen langen Stretchrock in verschiedenen Farben tragen, versammelt sich am Brunnen um ihre Lehrerin. Ein Schwarzer fotografiert vor dem Brunnen seine Frau, die ihren Kopf mit einem schwarzen Tuch verhüllt hat. Deutsche Paare tragen Allwetterjacken und Westen, immer mindestens zwei Reiseführer in der Hand und bequeme Reiseschuhe mit Profilsäule. Der Muezzin der Blauen Moschee ruft zum Gebet, was laut und klar, bei ihm sogar melodisch über den ganzen Platz schallt, und alle drehen sich zu dem riesigen Gebetshaus. Türkische Schülerinnen laufen mit Fotokameras in der Hand eilig vorüber, knipsen mal hier, mal dort im Gehen. Es gibt Muslimische Frauen mit bunten oder einfarbigen Kopftüchern, mit langen Mänteln oder körperbetonenden Leopardenshirts. Türkische Männer machen gemeinsam einen Spaziergang und kauen auf Simits. Immer wieder kommen Händler vorbei, die Reiseführer oder Touren verkaufen, die Schuhe putzen oder bunte Tücher verkaufen wollen. Ich sage nichts, sondern mache mit meinem Kopf nur eine winzige ruckartige Bewegung von unten nach oben, was „nein“ bedeutet. Die meisten gehen weiter. Nur einer der Jüngeren versucht es weiter. Als er mich für Russisch hält, sage ich böse, ich sei Deutsch. Er fragt mich, warum ich böse werde, “Why you angry?”, und geht.
Ein anderes deutsches Pärchen eilt vorbei, vor ihnen ein Verkäufer, der in klarem Deutsch ruft: „Schnell! In zwei, drei Minuten fahren sie los.“ Sie wollen zu einem der Sightseeingbusse, der ihnen einen Teil der europäischen Seite Istanbuls zeigen wird. Ein italienisches Pärchen schlendert händchenhaltend vorbei und freut sich über eine gerade frei gewordene Bank. Sie nehmen ihre schweren Rucksäcke ab und ziehen sich Pullover über, denn inzwischen bewölkt es sich. Weiter hinten läuft eine Frau in einer dicken Winterjacke mit Pelzkragen. Eine junge Frau fragt mich: „Please photo?!“ und hält mir ihr iPhone hin, damit ich sie und ihren Freund fotografiere. Er trägt zwar ein Galatasaray-Trikot, dennoch bin ich mich nicht sicher über ihre Nationalität. Hinter mir sortiert ein Händler den Müll, kurz danach kommt auch die offizielle Müllabfuhr vorbei. Türkische Frauen haben sich ihre Babys in Tüchern vor den Bauch gebunden und betteln die Touristen, zumeist erfolgreich an.
Ich sehe noch anders aus mit buntem Bleistiftrock, hohen Highheels mit Pfennigabsatz, schwarz-grauem Pullover mit Aztekenmuster und meinem Laptop auf dem pinken Tragetäschchen auf meinem Schoß. Mein Chai Tea Latte ist leider schon alle, aber ich freue mich, dass meine Mittagspause immer noch sehr lang ist, und denke, ich werde jetzt noch ein wenig herumstreifen, bevor ich zurück zur Arbeit gehe. Ich sollte mich häufiger genau hier hinsetzen und das bunte Leben beobachten.
Dieser Artikel wird natürlich erst später veröffentlicht, da es hier mitten auf dem Hippodrom kein WiFi gibt (jetzt erst, also eine Stunde später).
© janavar
Ahhh, wie schön. Bei uns liegt so etwa 7cm Schnee. Da tau ich ja richtig auf bei den tollen Fotos.
Als ich heute früh übers Internet im Radio gehört habe, dass in Norddeutschland wieder Minusgrade sind, habe ich mich umso mehr gefreut, dass es hier so schön ist 😉
-9°C waren es heute früh um 6:30 in Kaiserslautern. Bibber. Da bin ich froh von zu hause aus arbeiten zu können 🙂
Ich finde so etwas auch schön und mag es, Menschen zu beobachten. 🙂
Wow das ist mal ein toller Blog 🙂 und Istanbul ist wirklich wahnsinnig schön! Ich habe mich nun auch endlich mal gewagt einen Blog zu erstellen..(http://fizzlike.wordpress.com) mal sehen wo es mich hinführt..
Hier werde ich aber von nun ab öfter rein schauen!
Dankeschön! Viel Glück mit deinem Blog wünsche ich dir! Viele Grüße, Jana
Das sind wundervolle Impressionen. Da fühlt man sich gleich wie vor Ort und bekommt Fernweh. Wirklich toll, wie du die Situation so schön detailliert beschrieben hast. Ich freue mich schon auf viele weitere Eindrücke aus der Türkei 🙂