Irgendwann am Abend des 16. September 2010 bin ich am Atatürk Flughafen gelandet, nachdem mir meine Sitznachbarin ihren ölgetränkten Salat über meinen einzigen dicken Pullover geschüttet hatte. Ich hatte zwei Koffer dabei plus Handgepäck. Meine Wohnung blieb acht Wochen leer, bis ich meine Aufenthaltsgenehmigung bekam und meine Habseligkeiten aus dem Zoll bekam. So begann meine Zeit in Istanbul genau heute vor vier Jahren.
Vier Jahre meines dreißigjährigen Lebens, etwas über 13 %. Vier Jahre, die sich manchmal lange angefühlt haben, aber eigentlich wie im Fluge vergangen sind. Vier kalte, nasse Winter, in denen ich das Schwarzmeerklima verflucht habe. Vier heiße Sommer, in denen ich viele Nächte schlecht geschlafen habe vor Hitze und Mücken. Dafür vier Jahre direkt am Meer, vier Jahre zwischen Ayasofya, Blauer Moschee und Großem Basar, am Schwarzen Meer, am Bosporus. Ein einziges Mal habe ich einen Delfin im Bosporus gesehen. Das war vor fünf Wochen und ich habe es als absolutes Glückszeichen interpretiert.
Vier Jahre, in denen ich zweimal umgezogen bin. Einmal freiwillig, einmal nicht. Ich habe in drei verschiedenen Wohnungen gelebt, erst am Taksim, dann in Bakirköy. Immer in Europa. Seit drei Jahren lebe ich mit meinem Kater zusammen, eine Liebe die hält. Vielleicht weil türkische Kater einfacher als türkische Männer sind oder weil ich ihn nie aus der Wohnung lasse. Wer weiß das schon.
In vier Jahren habe ich mehrere kleine Erdbeben erlebt, ein Bombenattentat auf dem Taksim, die Geziparkproteste 2013. Die Politik und das Gesicht Istanbuls haben sich verändert. Es gibt mehr moderne Hochhäuser, mehr Frauen im Çarşaf, mehr Flüchtlinge, die auf der Straße betteln. Der Lira ist von 1 € = 1,95 Lira auf 1 € = 2,85 Lira gefallen. Die Brotauswahl ist dafür besser geworden. Inzwischen hat jedes gute Café einen Kaffeeautomaten, anstatt Nescafé aus dem Beutel ins heiße Wasser zu rühren.
In vier Jahren in Istanbul habe ich fast zehn Kilo abgenommen. Ich habe so einige graue Haare bekommen, mein Körper so einige Narben, weil ich als Tollpatsch gerne auf den unebenen Treppen ausrutsche und mir die Knie aufschlage. Mein Herz hat auch Schrammen abbekommen. Dafür waren meine Augenbrauen nie so gepflegt wie hier. Ich bin nie fast täglich auf so hohen Absätzen und relativ unfallfrei durchs Leben stolziert. Seit Mai sind siebzehn Möwen als Tattoo auf meinem Rücken immer dabei – für mich die perfekte Symbiose meiner Zeit an der Ostsee und in Istanbul, wo es überall diesen, meinen Lieblingsvogel gibt.
Ich liebe Istanbul. Immer wieder von Neuem. In vier Jahren habe ich so viele Seiten der Riesenstadt kennen gelernt, von denen ich viele mag. Nicht alle. Eines Tages werde ich gehen, das ist mir im vierten Jahr klar geworden. Istanbul und ich sind keine unendliche Geschichte, aber eine wichtige Episode meines Lebens. Vor vier Jahren bin ich mit zwei Koffern angekommen, irgendwann werde ich gehen. Mit zwei Koffern, einem Kater, siebzehn Möwen und einem Meer voller Erinnerungen in mir. Aber erst einmal beginnt mein fünftes Jahr hier und ich werde bleiben – auch wenn ein Teil meines Herzens schon woanders ist.
© Janavar
So ein schöner Text! Ich kann mir vorstellen, dass du bis jetzt viel Spannendes erlebt hast 🙂 Und ich wünsch dir, dass du die Zeit bis zu deiner “Abreise” (wann auch immer die sein wird) noch ganz doll genießt.
Liebe Grüße!
Danke, liebe Lotte! Ich werde über das Meiste berichten und hoffe, dass nun eine Menge Gutes hier auf mich wartet 🙂
Ein wirklich schöner Text, den ich super gerne gelesen habe. Vieles davon wusste ich noch nicht, zum Beispiel, dass du schon so lange da bist. Ich wünsche dir noch eine wundervolle Zeit, auch wenn sie nicht mehr allzu lang sein wird. Canavar wird ein bisschen Türkei für dich mitnehmen.
Liebe Grüße
Manchmal bin ich selbst ganz überrascht, wie lange ich schon hier bin 🙂
Da schließe ich mich an: Wirklich schön geschrieben! 🙂 In 4 Jahren kann ganz schön viel passieren. Weißt du schon wohin dich deine nächste Etappe führen wird?
LG Myriam
Auch von mir noch die besten Wünsche für das nächste Jahr in Istanbul! … und, wenn die Zeit für ein neues Abenteuer gekommen sein wird, dann werde ich Dir auch dafür die Daumen drücken. 🙂