Während ich am Schreibtisch sitze und eigentlich viel zu tun habe, weil die Deutschabiturklausuren zum Korrigieren vor mir liegen, ist mir aufgefallen, dass ich selbst erst vor zehn Jahren mein Abitur gemacht habe. In zehn Jahren passiert verdammt viel: Erst ein Sommer voll schönem Nichts, dann fünf Jahre Studium, davon ein Jahr Erasmus in Irland, noch ein schöner, freier Sommer nach dem Ersten Staatsexamen, zwei Jahre Referendariat, ein weiterer freier Sommer mit schöner Vorbereitung auf meinen Umzug nach Istanbul, seit zweieinhalb Jahren das volle Arbeitsleben.
Mit 19 und meinem Abi gerade in der Tasche wusste ich noch nicht, wohin die Reise geht, nur dass ich unbedingt und völlig überzeugt Lehrer werden und im Ausland arbeiten wollte. Mit Ausland meinte ich ein Land innerhalb der EU. Dänemark zum Beispiel. Oder Irland. Mein Lieblingsstudienfach war tatsächlich Deutsch als Fremdsprache.
Mit 24 war klar, dass ich ohne Referendariat und damit Zweites Staatsexamen auch im Ausland keinen Job nach meinen Vorstellungen bekommen würde. Die zwei schrecklichsten Jahre meines Lebens. Das ist keine Übertreibung, ich hatte es einfach nicht gut mit meiner Ausbildungsschule getroffen und das Seminar, naja, es gibt definitiv bessere, habe ich wenigstens gehört.
Was aber immer toll war und auch jetzt noch sind die vielen schönen Sommer, in denen ich die meiste freie Zeit habe und einfach tun kann, was sonst zu kurz kommt, z.B. Erholen, Schwimmen, Freunde treffen. Allerdings ist mir aufgefallen, dass die Gestaltung der Details sich in den letzten Jahren doch sehr geändert hat. Mit Anfang 20 haben wir uns zu Partys getroffen, die feuchtfröhlich waren und deren Erinnerungen manchmal von mehreren von uns zusammengepuzzelt werden mussten, um ein passendes Gesamtbild zu erhalten. Unsere Röcke waren viel mehr mini als heute. Dafür waren die Cocktails viel größer. Ich erinnere mich an eine Geburtstagsparty meiner besten Freundin, bei der wir nachmittags selbst Sangria angesetzt und natürlich getestet haben. Nachts sind wir in ihren aufgebauten Pool gehüpft und am Ende wurde ich reingeworfen. Auf dem Bild erkennt man meine Arme und Beine. Trotz allem haben wir uns sehr erwachsen gefühlt. Erwachsen und mit viel Spaß.
Wenn wir nachts nach Hause gegangen sind, haben wir auf der Straße laut gesungen – und ich konnte früher auch nicht besser singen als heute. Mit 23 begannen unsere Körper aber allmählich, Alkohol nicht mehr so gut zu verarbeiten und am nächsten Tag schwere Kater zu entwickeln.
Noch davor: Wenn wir uns zum Dorftanz getroffen haben, hat sich jeder das Auto der Eltern geliehen und wir sind hintereinander zum nächsten Tanz gefahren. Im Sommer gab es an jedem Wochenende auf jedem Dorffest Tanz, im restlichen Jahr alle zwei Wochen in einer kleinen Kneipe. Unsere Kleidung in der Mitte Mecklenburgs war von Takko oder Ernstings Family, vielleicht aus dem Quelle- oder Otto-Katalog. Übers Internet hat damals noch niemand bestellt. Mit viel Glück hatte jemand ein Teil von Pimkie oder Orsay. Jeder kannte Fishbone, wusste aber nicht unbedingt, dass das zu New Yorker gehört. Unser Makeup war immer noch sehr 90s und die Schuhe sowieso. Ich hatte wuchtige schwarze Pumps mit einem unglaublich hohen Plateau und Absatz. Die müssten immer noch bei meinen Eltern stehen. Der Nagellack war blau oder grün und wurde nicht ablackiert, sondern blätterte irgendwann von alleine ab. In den großen Festzelten oder kleinen Kneipen haben wir Discofox getanzt und Cola getrunken. Niemand hat unsere Ausweise kontrolliert, auf den Dörfern kannte sowieso jeder jeden. Trotzdem waren wir die Großen, schließlich hatten wir schon Papas Auto und würden alle bald in große Städte ziehen, Hamburg, Berlin, Rostock … Ich habe hier noch nicht einmal Fotos aus jener Zeit, weil niemand von uns eine Digitalkamera besaß. Unsere immer noch ersten Handys hatten keine Kamera und sowieso keine bunten Farben. Vielleicht gibt es in meinem alten Kinderzimmer ein paar Papierfotos.
Wenn ich heute mal weggehe, während des Schuljahres eher selten, trinke ich Cola. Mein Kleiderschrank ist riesig und trotzdem überfüllt, aber die kurzen Röcke bleiben drin, weil ich mir den Stress mit den türkischen Männern da draußen nicht antun mag. Ein Auto habe ich nicht, selbst Papa lässt mich in den Ferien eher selten mit seinem fahren (pfhhhh!), dafür wohne ich mit meinem Freund und einem echten Kater zusammen. Im Sommer gibt es manchmal Dorftanz, aber nicht mehr jedes Wochenende. Die Kneipe ist längst geschlossen. Aber jeden Monat ist genug Geld auf meinem Konto und ich habe im Alltag wenig Zeit, es auszugeben. Dafür korrigiere ich nun die Abiturklausuren der nächsten Generation, die von mir Analysieren lernen – als wäre ich schon so eine uralte Deutschlehrerin, die in ihrer Freizeit nur Gedichtsammlungen liest. Sie fragen mich, ob ich in Istanbul in die oder die Disco gehe und ich kenne nicht einmal die Namen. Immerhin werde ich aber auch nicht mehr nachts in einen Pool geworfen, nüchtern stelle ich mir das weniger lustig vor. Aber vielleicht kommt das auch wieder, wenn ich erst im Sommer im Garten meiner Freundin stehe …
janavar
Schön geschrieben!! Ein bisschen macht es mich traurig, weil es mir ähnlich geht. Mein Abi ist jetzt 11 Jahre her und ich habe keine Ahnung, wo die Zeit geblieben ist. Besonder toll fand ich »Unsere Röcke waren viel mehr mini als heute. Dafür waren die Cocktails viel größer.«! Ich habe früher immer Bauchfrei getragen, auch in der Schule. Abends habe ich Strasssteine an meine Augen geklebt und Glitzer auf meine (sehr blondierten) Haare gestreut. Übel, ich weiß, aber “damals” war das eben so. Heute können meine Oberteile nicht lang genug sein, weil ich a) einen Speckbauch bekommen habe und b) ständig friere und c) würde das im Büro auch ein wenig seltsam aussehen. Glitzer finde ich (bis auch wenige Ausnahmen) schrecklich, und auf den Haaren hat es schon gar nichts zu suchen! Älterwerden ist kacke, aber auch irgendwie gut, weil man nicht mehr jeden Quatsch mitmacht, nicht mehr jedem Trend hinterher rennt. Aber man war früher eben auch unbeschwerter…
Liebe Grüße!
Ich stimme dir absolut zu! Den Glitzer hatte ich schon ganz vergessen ;-). Und gefroren habe ich schon immer, aber immerhin habe ich ja jetzt meinen Freund, der nachts im Bett vor meinen kalten Füßen nicht fliehen kann/darf, früher habe ich eher den Heizschuh meiner Mutter ausgeliehen 😀
Da bist Du aber schon einen weiten Weg gegangen in den letzten 10 Jahren. Schön, dass Du Deine Berufung gefunden hast und mit dem Menschen zusammenleben kannst, den Du liebst! 🙂
Danke 🙂