Ich habe in diesem Jahr bisher dreimal spontan Urlaube gebucht. Die meisten bewunderten meine Fähigkeit zur Spontaneität, ich nenne das eher Hang zu Überreaktionen oder positiv ausgedrückt: Temperament. Wie auch immer, ich war im Februar im sommerlichen Kemer (Antalya) und im März im hübschen Izmir. Seit Sonnabend urlaube ich auf meiner Lieblingsinsel Rømø in Dänemark, drei Wochen lang.
Dänemark ist das Urlaubsland meiner Kindheit und daran erinnerte ich mich, als ich im Frühling meine süße kleine Ferienwohnung buchte. Tatsächlich, als ich Sonnabend ankam, nichts hörte außer dem Wind, noch kurz vor dreiundzwanzig Uhr im letzten Zwielicht durch die Dünen und über den riesigen Strand lief, um nur einmal mit den Füßen in der kühlen Nordsee zu stehen, wusste ich, dass ich mich richtig entschieden hatte. Hier kann ich mich einfach erholen.
Nicht dass ich Istanbul nicht liebe, aber die Stadt jagt mich, lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Rømø hingegen ist ruhig, gibt mir Schlaf und Stille, manchmal Strand. Interessanterweise halten mich die Dänen sogar überall für dänisch, so kann ich die Sprache endlich wieder üben. Nur anstatt „ja“ antworte ich irgendwie immer mit dem türkischen „evet“; und „tamam“ liegt mir ständig auf der Zunge. Hier stört es niemanden, dass eine Frau alleine Urlaub macht. Ich kann nur in einem weißen Tunikakleid herumlaufen oder wie heute bei stärkerem Wind mit Legging darunter und Wollpullover darüber. Gegen den Wind kann ich ein Tuch um meine Haare wickeln, ohne dass ich ein religiöses oder politisches Signal sende.
Aber mir fehlt meine Lieblingsmetropole. Natürlich. So ganz kann ich meinen Alltag doch nicht abschütteln und so lasse ich auf verschiedene Weisen mein Istanbul täglich wieder auferstehen, hier auf der einsamen Insel.
Das begann schon, bevor ich überhaupt losfuhr und Freunden erzählte, dass ich auf jeden Fall auf der Hinreise Wasser in Flaschen kaufen würde. „Warum? Du kannst doch in Dänemark das Wasser aus dem Wasserhahn trinken.“ – „Ieh, nee, Wasser in Flaschen ist doch besser.“ – „Na nun bist du türkisch geworden!“ — Neben meinen Wasserflaschen stürzte ich mich im deutschen Supermarkt übrigens auch hocherfreut auf den Ayran und den türkischen Joghurt, die ich in größerer Stückzahl in den Einkaufskorb packte. Leider gab es dort nur grüne und vor allem nur gefüllte Oliven, die einfachen schwarzen bekam ich erst in Dänemark. Noch vor einem Jahr hätte ich kiloweise Schnitzel gekauft, nun begeisterte ich mich für die Rindersteaks. Übrigens trinke ich hier sogar meinen Kaffee türkisch, denn die billige Kaffeemaschine ist absolut ungeeignet, um mit Filter für nur einen Becher Kaffee zu kochen.
Auch meine Lektüre ist Türkei-bezogen. Einen Teil davon brachte ich aus Istanbul mit: das Sprachlehrbuch, die Übersichtswerke zur a) türkischen Literatur, b) türkischen Geschichte und c) Atatürk. Aber dann fand ich als erstes im Hamburger Flughafen die fantastischen Spiegel-Hefte zur „Türkei. Land im Aufbruch“ und zu „Arabien. Kalifen, Kriege und der Kampf um Freiheit“. Die habe ich mittlerweile mit riesigem Interesse durchgearbeitet, mit Textmarker sogar. Demnächst kann ich mein Umfeld wieder mit neuen Details beeindrucken oder nerven, je nachdem.
Nebenbei lese ich auf Dänisch Jason Goodwins Krimi „Janitshartræet“ (Die Weisheit des Eunuchen), spielt natürlich auch in Istanbul, genaugenommen im osmanischen Istanbul im Jahre 1836. Nicht zu vergessen ist der nette Artikel in der dänischen Frauenzeitschrift femina über Urlaub an der türkischen Ägäis. Und das entsprechende Fernsehprogramm: in der ARD lief eines Abends „Evet, ich will“ – eine Komödie über deutsch-türkische, kurdisch-türkische und türkisch-türkische Hochzeiten in Deutschland; und nach dem Urlaub wartet die dänische DVD „Halalabad Blues“ auf mich – eine Komödie über eine dänisch-türkische Liebe. Schade eigentlich, dass die Türkei nicht an der Fußballweltmeisterschaft teilnimmt.
Wenn ich mal nicht schlafe oder am Strand spaziere, schreibe ich übrigens – und auch da lasse ich mein Istanbul wieder auferstehen. Die lauen Nächte, die antiken Bauten, den gurgelnden Bosporus, die streunenden Katzen, die glühenden Tage, die kreischenden Möwen. Letztere vermisse ich als Schnittpunkt vielleicht am meisten, meine geliebten Möwen, denn während ich im letzten September noch fette Lachmöwen am Strand von Rømø fotografierte, sind sie jetzt bis auf zwei oder drei einzelne Vögelchen alle verschwunden. Vielleicht gleiten sie durch meine Lieblingsstadt, die ich voller Sehnsucht vor meinen Augen sehe.
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 1. Juli 2011)