Manche Wochen bringen wenig Neues. Weil sie mit Arbeit Arbeit Arbeit gefüllt sind.
Normalerweise bin ich inklusive Pausen genau 24 Stunden pro Woche in der Schule. Aber in dieser Woche waren es – wenn ich die zwölf Stunden Aufsicht in Deutschland mitzähle und dank verschiedener Dinge wie z.B. Konferenzen und Elternsprechtag – 43 Stunden. 43 Stunden, in denen ich immer präsent und konzentriert sein musste. Aber das ist ja nur die “Öffentlichkeitsarbeit”. Hinzu kamen weitere Stunden für Vorbereitungen, mündliche Noten geben und auf die türkische Onlinenotenübersichtsseite eintragen (und ja, das System hasste mich und stürzte garantiert mit Absicht ab), Hausaufgaben korrigieren, Klassenarbeit(stermine) planen, E-mails schreiben … Meinen Koffer konnte ich heute endlich auspacken und wegräumen!
Meistens macht Arbeit Spaß, Arbeit fördert und fordert, und/oder Arbeit lenkt ab, und wenn man wie ich gerade nebenbei eine Folge von “Türkisch für Anfänger” gesehen hat, weiß man auch, dass viel Arbeit Sublimierung ist (“Die Entstehung der gesamten menschlichen Kultur ein Ergebnis von Sublimierung?! Die haben nur die Atombombe erfunden, weil wir nicht alle genug poppen?!” Staffel 2, Folge 20)
Mit Hilfe von viel Kaffee und Schokoriegeln schleppte ich mich also durch die Woche, ohne ein letztes Wochenende gehabt zu haben, und hatte wenig Zeit, die blühenden Tulpen in Istanbul zu bewundern, die nun wieder regelmäßig einlaufenden Kreuzfahrtschiffe zu bewundern oder mich über die Riesenmassen von Touristen zu ärgern. Dafür erlebte ich zum ersten Mal selbst, wie eklig einige Männer sich in übervollen Straßenbahnen benehmen – und nur die Tatsache, dass ich mich nicht einen Zentimeter bewegen konnte, ist schuld, dass ich jenem Herren, der ohne Hemmungen meinen knackigen Hintern und meine Hüfte begrabschte, leider nicht mein Knie in seine sensiblen Körperregionen rammte.
Tja, außer Arbeit passierte eigentlich gar nichts in meiner Woche. Und gestern nach dem gemeinsamen Feierabendbier für den überstandenen Elternsprechnachmittag (zum Glück einfacher als beim ersten Mal, weil weniger und einsichtigere Eltern) verabschiedete ich mich um halb sechs und schlief kurz nach sieben selig auf meinem Sofa, von wo aus ich mich auch nur noch bis ins Bett bewegte und bis heute morgen um zehn durchgrunzte. Und sogar ohne Unterbrechungen – keine Wadenkrämpfe, keine Türkischvokabelanalysen, keine Alpträume, kein Weckerklingeln, fantastisch!
Wobei das Wochenende selbst nicht ganz so fantastique ist: es liegen zwei große Stapel mit Klassenarbeiten hier herum, die ich unbedingt bis spätestens Donnerstag zurückgeben will – pro Arbeit ca. eine halbe Stunde Korrektur x 56 = 28 Stunden. Da sage noch mal einer, Lehrer würden nicht arbeiten. Außerdem habe ich zwei großartige Dates mit meiner Waschmaschine und dem Staubsauger. Schließlich kommen am Donnerstag meine Eltern zu Besuch, bis dahin muss die Wohnung picobello aussehen. Ich habe heute schonmal herumliegende Bücher ins Regal geräumt, den Koffer unters Bett, auf dem Boden verstreute Kleidung in den Schrank, Papier teilweise sortiert und die Küche geputzt, gut nur halb. Dabei schon wieder das Programm vom Weihnachtskonzert gefunden – alter Falter, warum habe ich das eigentlich beim letzten Fund nicht schon weggeworfen? -; zwei Bierdosen von Anfang Dezember – es geht doch nichts über Erinnerungen, aber Alkohol ist hier zu teuer, um ihn wegzuwerfen -; losen Tee in Döschen noch aus Deutschland importiert – kann ich auch nicht wegwerfen, habe hier noch keinen weißen Tee gesehen -; ein graues Haar direkt an der Stirn – hat mich umgeworfen. Dafür ist der Macbeth irgendwie weggelaufen und hat meine Brille wohl auch mitgenommen.
Also kurz: bis Donnerstag Abend muss hier noch eine Menge passieren. Wäre ja schon schön, wenn die letzten Umzugskartons doch endlich mal verschwänden, der Liegestuhl auf dem Balkon dem Wetter entsprechend aus seiner Papphülle befreit würde und der Esstisch nun endlich in der ihm seit einem dreiviertel Jahr zugedachten Ecke landen würde.
Aber es gibt natürlich immer etwas Positives: Vor lauter Arbeit, dem Denken an die weitere Abend und die schönen Erinnerungen an vergangene Ferien buchte ich eine Ferienwohnung auf meiner Lieblingsinsel Rømø in Dänemark für die ersten drei Wochen meiner in zehn Wochen beginnenden Sommerferien. Mitten in den Dünen. Fünf Minuten bis zum Strand. Bis zum 700 Meter breiten Strand. Dort, wo die täglich wechselnden blonden Surfer und Kitefahrer zu beobachten sind. Und die fetten Möwen natürlich auch. Ganz allein (als Einzelkind und Nichttürke fällt das Alleinsein nicht so schwer). Aber mit genügend Platz für Besuche von Freunden. Gut, drei Wochen Ferien könnten anstrengend werden. Mir fiel das Herunterkommen schon immer schwer und die letzten richtigen, also erholsamen, langen Ferien liegen mittlerweile drei Jahre zurück und da ging’s mir äußerst schlecht, also so richtig richtig hatte ich vor vier Jahren mal mehr als eine Woche Entspannung pur. Die ersten Tage werde ich wahrscheinlich nur im Internet verbringen (ich würde natürlich nie Urlaub ohne W-Lan inklusive buchen) oder mich in der einzigen Kneipe weit und breit im Lakolk Butikscenter mit Fisherman’s Friend-Shots ruhig stellen. Aber nach drei Wochen werde ich hoffentlich so tiefenentspannt sein, dass ich mich wieder auf die Zivilisation, also Besuch in Mecklenburg freue und sogar Omma und ihren Wehklagen über den Verfall des Geldes (sagen sämtliche Nachrichten), den Verfall der Jugend (sagen sämtliche Fernsehgerichtsshows), den Verfall der Familie (keine Hochzeit, keine Kinder), den Verfall der Welt (ich bei den bösen Türken) ohne viele Widerworte zuhören kann.
Tja, zwischen mir und dem Urlaub liegen nun noch geschätzte 550 Arbeitsstunden (Aufräum- und Putzstunden nicht eingerechnet). Aber der Sommer wird kommen, ich spüre es in meinem linken großen Zeh!
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 16. April 2011)