Draußen schneit es, was bei den steilen Hügeln Istanbuls nicht immer angenehm ist und die Wintertage sehr trübe macht. Manchmal fallen sogar die Fähren über den Bosporus wegen schlechter Sicht aus. Da bleibe ich am liebsten zu Hause und liege mit dem Kater auf meinem Bauch auf dem Sofa. Leider habe ich nur zwei deutsche Fernsehsender und nach dem fünften “Familien im Brennpunkt” auf RTL wechsele ich dann doch gern zu DVDs.
Und sowieso kann ich nicht alle Sendungen ertragen, “Der Bachelor” wäre ein schönes Beispiel dafür. Den habe ich übrigens vor zwei Wochen in der Berliner Disco “Felix” beim Brandenburger Tor gesehen. Ich war im Gegensatz zu all den Damen auf der Treppe leider zu langsam, um ein Foto zu schießen. Aber: Mädels, wir verpassen tatsächlich gar nichts. Er hatte etwas zu lange blonde Schmalzlöckchen, ein schmieriges Grinsen und stolzierte mit Daunenjacke breitbeinig und allein durch die Disco.
Anyway, meine türkischen Lieblingsfilme (ohne blonde Schönlinge) sind:
“Issız adam” – “Einsam” (2008)
Alper lebt allein in Istanbul, kocht in seinem eigenen Restaurant, fährt nachts zu Prostituierten und ruft so selten wie möglich zu Hause an. Eines Tages begegnet ihm Ada in einem Buchladen und sein Jagdinstinkt wird geweckt. Trotz ihren schroffen Absagen gibt er nicht auf und will sie mit Karottenkuchen von sich überzeugen. Bis die schöne, junge Frau endlich nachgibt. Nur kann Alper selbst überhaupt seinen Lebensstil ändern?
Der Film spielt im Zentrum Beyoğlus, in den Straßen rund um das Galatasaray Lisesi. Noch fesselnder ist aber die Handlung selbst, weil die meisten von uns wohl einen “einsamen Mann” wie Alper kennen, weshalb ich und meine Freundinnen den Film auch immer wieder gern gucken. Ich mag die Details im Film, z.B. eine Haarnadel die symbolisch wieder auftaucht; dass der Name der Hauptdarstellerin Ada “Insel” bedeutet, was zugleich den Filmtitel zweideutig nicht nur mit “Einsamer Mann”, sondern auch mit “Meine einsame Insel” übersetzen lässt (Alper bedeutet übrigens Krieger oder tapferer Mann); und meine Lieblingsszene ist die fast zehnmütige Schlussszene – vielleicht gerade deshalb weil wir wohl alle schon einmal von so einem Ende im wahren Leben geträumt haben ;-).
“Aşk tesadüfleri sever” – Die Liebe liebt die Zufälle (2011)
Özgür und Deniz werden in Folge eines Autounfalls beide am gleichen Tag in einem Ankaraner Krankenhaus geboren und wohnen als Kinder in der gleichen Straße: Özgür schaut ihr hinterher, wenn er auf seinem Fahrrad stolz herumfährt. Deniz wirft sich vor das Fahrrad, um Kontakt mit ihm aufzunehmen. Doch als Deniz’ Opa stirbt, zieht ihre Familie um und die beiden Kinder verlieren sich aus den Augen. Erst fünfundzwanzig Jahre später führt sie ein Zufall erneut zusammen, als Deniz in Istanbul das Plakat zu einer Fotoausstellung sieht und sich in dem Mädchenbild erkennt. Die Schauspielerin Deniz und der Fotograf Özgür lernen sich neu kennen – wäre da nicht auch noch Deniz’ Freund Burak …
Diesen Film habe ich sogar auf Türkisch im Kino gesehen, ganz gut verstanden (die DVD kommt mit englischen Untertiteln) und wie alle Zuschauer um mich herum viele viele Tränen vergossen. Denn hier ist alles vereint: Liebe, Schicksal, Drama, Glück. Hinzu kommt, dass die Handlung mit Rückblenden auf die Kindheit nicht chronologisch erzählt wird und alles bis ins kleinste Detail wie ein klassisches Drama oder genauer gesagt wie eine klassische Tragödie per definitionem durchkomponiert ist. Jedes Motiv vom Beginn wird auch am Schluss wieder aufgegriffen. Auch der Soundtrack ist wunderschön, besonders da Hauptfigur Özgür auch als Sänger im Film arbeitet, und auch weil ein paar ältere türkische Chansons gewählt wurden.
“Almanya’ya hoş geldiniz” – “Willkommen in Deutschland”(2011)
Okay, das ist streng genommen kein türkischer Film, aber immerhin deutsch-türkisch und ich mag ihn wirklich sehr: Obwohl Oma Fatma und Opa Hüseyin gerade nach vierzig Jahren in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, beschließt Opa Hüseyin, dass seine ganze Familie im Sommer gemeinsam zurück in ihr türkisches Heimatdorf in Ostanatolien fährt. Nach einigem Zögern tun alle, was der alte Patriarch, der der 1.000.001 Gastarbeiter in Deutschland war, will. Auf der Reise wird Enkel Cenk, der sich nicht sicher ist, ob er deutsch oder türkisch ist, die Familiengeschichte erzählt.
Dabei werden zwei Handlungsstränge geschickt miteinander verwoben: die Familienvergangenheit, wie die Familie im Dorf lebte, wie Hüseyin erst als Gastarbeiter allein nach Deutschland ging und später mit der ganzen Familie … und die Familiengegenwart, wie die Geschwister miteinander streiten, wie Enkelin Canan sich nicht traut ihrer Familie von ihrer Schwangerschaft zu informieren, wie Opa Hüseyin von der Bundeskanzlerin per Brief eingeladen wird als 1.000.001. Gastarbeiter eine Rede im Schloss Bellevue zu halten …
Der Film ist sowohl lustig, z.B. wenn die türkischen Kinder in Deutschland zum ersten Mal einen Dackel an der Leine sehen und ihn für eine Ratte halten, als auch tragisch, beispielsweise wenn die Familie zum ersten Mal nach ihrem Umzug nach Deutschland zurück in ihr Dorf fährt und feststellen muss, dass sie nicht mehr einfach so akzeptiert werden. Ein interessanter Teil der neueren deutschen Geschichte wird erzählt, u.a. auch mit Originalfernsehaufnahmen. Außerdem werden Ereignisse überspitzt dargestellt oder ironisiert, wie die Angst eines der Kinder vor Jesus oder seine Träume von einem unendlichen Vorrat an Coca Cola-Flaschen. Und schließlich hat das Thema Migration und Integration mich auch an meinen eigenen Umzug von Deutschland nach Istanbul erinnert.
© janavar