Ich liebe Kartoffeln. Am liebsten täglich. Am allerliebsten Pell-, Salz- oder Stampfkartoffeln. Brat-, Rosmarinkartoffeln und Kartoffelaufläufe zwischendurch zur Abwechslung. Eintöpfe nur mit Kartoffeln. Folienkartoffeln vom Grill im Sommer. Muttis Kartoffelsalat an Heiligabend. Pommes frites und Kroketten unterwegs.
So weit, so gut. Aber in Istanbul gibt es keine Kartoffeln zum Mittagessen, stattdessen Reis, Bulgur, Mante (türkische Ravioli). Manchmal kalte Pommes als Gemüsebeilage. Das Highlight ist die gefüllte Ofenkartoffel Kumpir, die es überall in der Stadt, aber leider nicht auf Arbeit gibt. Gewöhnungsbedürftig ist es allerdings, wenn die Kumpir mit Kartoffelsalat gefüllt wird.
In den Supermärkten gibt es, wenn überhaupt nur eine Sorte Kartoffeln. Und ich hatte bisher ein noch viel größeres Problem, um mein Kartoffelbedürfnis zu befriedigen: ich hatte keine Herdplatte und keinen Topf, um die Knollen zu kochen – was für eine Katastrophe!
Am 1. September holte die Spedition meinen gesamten Hausrat aus meiner deutschen Wohnung ab, darunter mein Backöfchen mit zwei Herdplatten. Schlimm war, dass ich noch zwei Wochen warten musste, bis ich ausreisen durfte. Das bedeutete, auf einer flachen Luftmatratze mit Zeitung als Polsterung darunter zu schlafen, Tütensuppen mit dem Wasserkocher “kochen”, auf dem Fußboden zu sitzen … am Ende saß ich während meiner kläglichen Mahlzeiten auf dem Toilettendeckel, der einzigen Sitzgelegenheit.
Meine Situation besserte sich deutlich, nachdem ich meine neue Wohnung hier in Istanbul bezog: die Eigentümer hatten einen schweren, stabilen Holztisch und vier Stühle hiergelassen. Außerdem gab es Badmöbel, Küchenmöbel (ohne Elektrogeräte) und einen supertollen, riesigen in die Wand gebauten Kleiderschrank. Geschlafen habe ich auf einer aufblasbaren Gästematratze für eine Person, die mir ein Kollege lieh.
Zu Anfang war alles ein wunderbares Abenteuer. Außerdem wusste ich, dass meine Sachen bereits am 15. September, also einen Tag bevor ich selbst in die Türkei reiste, beim Zoll in Ankara angekommen waren. Womit ich nicht gerechnet hatte, war die türkische Bürokratie. Auf meine Aufenthaltsgenehmigung, das Ikamet, wartete ich fünf Wochen. Im Büro der Ausländerbehörde, wo man es abholt, arbeiten mindestens vier Männer: zwei unterhalten sich mit Freunden, die gerade zu Besuch sind, einer bringt die leeren Teegläser weg und der letzte lässt sich bei seiner Arbeit vor allem nicht aus der Ruhe bringen, aber gerne von den anderen drei ablenken. Ich brauchte auch eine Steuernummer: in dieser Behörde kritisierte der zuständige Sachbearbeiter – zugegebenermaßen wegen mir der einzige, der nicht mit den Kollegen quatschte, Mittagseinkäufe vom Basar präsentierte oder mit Freunden per Handy telefonierte – meine Unterschrift und auch die Vornamen meiner Eltern schienen ihm zu kompliziert, um sie fix in den Computer einzugeben. Der Zoll wollte auch noch einen Zweijahresmietvertrag sehen. Und das Highlight: eine Übersicht, wie oft ich in den letzten drei Jahren in die Türkei ein- und ausgereist bin – einmal im Juli und dann eben im September. Dafür musste ich in der Ausländerbehörde wieder einen Antrag stellen, aber erst nachdem ich mein Ikamet hatte, und bekam ein einhalb Wochen später das Dokument. Dachte ich. Bis ich alles zur Spedition gesandt hatte und die feststellten, dass ich das falsche Dokument hatte. Da bekam ich zum ersten Mal große Panik und Heulattacken. Durch das Opferfest hätte das erneute Beantragen mindestens zwei Wochen gedauert. Die Tränen bewirkten immerhin, dass man mir half und ich diesen letzten Schriebs innerhalb von einem Tag in einer Passstelle der Polizei bekam. Das wäre vorher übrigens auch möglich gewesen und sogar ohne Ikamet, aber danach hatte niemand derjenigen, die mir durch den türkischen Bürokratiedschungel helfen sollten, gefragt.
Schließlich tanzte ich durch meine leere Wohnung, als am Donnerstag der ersehnte Anruf aus Ankara kam, dass meine Sachen vom Zoll freigegeben wurden und Freitag früh geliefert würden.
Vor lauter Aufregung schlief ich äußerst schlecht und war mehr als überrascht nach dem ganzen Hin und Her, dass die Spedition pünktlich um halb acht morgens vorfuhr und innnerhalb von anderthalb Stunden nicht nur alle Kartons nach oben brachte, sondern sogar alle meine Möbel aufbaute und meine Waschmaschine anschloss.
Nach über zehn Wochen weiß ich mein Bett nun erst so richtig zu schätzen. Aber das Beste ist natürlich mein Minibackofen: Gestern kaufte ich gierig Kartoffeln auf dem Markt, suchte meinen Kartoffelkochtopf als erstes und kochte eine riesige Portion Pellkartoffeln, die ich mir mit Butter und Quark reinstopfte.
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 14. November 2010)