Dass ich die letzten eineinhalb Wochen nicht gebloggt habe, liegt daran, dass ich zum ersten Mal seit meinem Umzug nach Deutschland geflogen bin. Obwohl Weihnachten im türkischen Alltag keine Rolle spielt, gibt es einige wenige Ausnahmen und so bekamen wir fünf Tage Weihnachtsferien. Nachdem ich tagelang den Wetterbericht und die Flughafennews beobachtet hatte, kam ich überraschend gut nach Hause.
Am vergangenen Donnerstag arbeitete ich bis kurz nach zwölf, nahm dann ein Taxi zum Flughafen (der Taxifahrer erzählte mir während der halbstündigen Fahrt so viel auf Türkisch, dass ich einerseits überrascht war, so viel zu verstehen, andererseits aber sehr müde wurde durch die starke Konzentration), flog dann vom Atatürk Flughafen nach Berlin-Tegel, von wo aus ich mit dem Bus zum Hauptbahnhof fuhr, dort mit etwa dreißig Minuten Verspätung im Zug bis Güstrow in Mecklenburg und dann in Papas Auto weitere anderthalb Stunden durch den Schnee aufs 280-Seelen-Dörfchen.
Meine ersten Eindrücke? Es war so schrecklich still. Selbst in Berlin war im Vergleich zu Istanbul nichts los, die Straßen, der Bahnhof waren trotz Leute irgendwie leer. Der Bus hupte nicht, wechselte nicht spontan die Spur, es gab noch nicht einmal Stau. In Mecklenburg wurde es noch stiller. So still, dass ich im Bett meinen MP3-Player brauchte, um schlafen zu können. Außerdem war es so fürchterlich kalt, dass ich gar nicht vor die Tür wollte – zum Glück boten meine Eltern genug Abwechslung mit deutschem Essen (Kartoffelsalat, Würstchen, Weihnachtsgans, Rotkohl, Wurst vom Schwein …), einer mir freien Wahl des Fernsehprogramms (fantastisch nach bald vier Monaten ohne Fernseher) und unseren unzähligen Mensch-ärger-dich-nicht-Partien, deren Gesamtwertung ich diesmal anführte.
Aber … aber das Dorfleben in der Mitte Mecklenburgs hat auch Nachteile … und ich meine noch nicht einmal die an kirchlichen Feiertagen und sonntags pünktlich um acht, viertel neun und halb neun leutenden Kirchenglocken oder die fiesen, permanent bellenden Promenadenmischungen. Wir hatten erst so viel Schnee und dann so viel Wind, dass die drei-Kilometer-lange Zufahrtsstraße zur nächsten Bundesstraße häufig wegen Schneeverwehungen unpassierbar war. Daher blieb ich vier Tage einfach im Dorf, sah weder meine Oma noch andere Verwandte, oder meine Freundin B. und ihre Familie inklusive meiner süßen, kleinen Patentochter. Und schließlich bedeutete das, dass ich noch nicht einmal alle Weihnachtsgeschenke abholen konnte. So ein Ärger!
Apropos Geschenke: Als Einzelkind konnte ich mich noch nie beschweren, zu kurz zu kommen. Auch in diesem Jahr hatten meine Eltern offenbar genau zugehört und schenkten mir vor allem praktische Sachen wie eine passende Sofadecke, Ministollen, massenhaft Marzipan und Schokolade, … und auch schöne Dinge wie ein neues Kleid, eine DVD, von der ich seit langem rede und eine Tasse mit der Aufschrift “Weltbeste Tochter”. Und schließlich der kleine Seitenhieb, das Buch “Immer der Falsche! Warum die Liebe macht, was sie will”. Joaaaahhhhh … Mein großer Koffer war somit auch schon wieder voll, obwohl ich noch eine Menge anderer Sachen mit zurücknehmen wollte.
Immerhin einen Abend verbrachte ich übrigens nicht bei meinen Eltern, sondern zweihundert Meter weiter bei meiner Freundin A. und ihrer Familie. Eigentlich wollte ich im Auftrag des Weihnachtsmannes nur schnell die Geschenke für ihre zwei Kinder abgeben, aber dann stellte ihr Mann S. die Bacardiflasche auf den Tisch. Während ihre Tochter schlief, ihr Sohn mit seiner neuen, riesigen Ritterburg spielte und ihr Bruder (ein drei-Generationen-Haus) sich für einen Dorftanz fertig machte, philosophierten wir über das Leben und tauschten lustige, alte Geschichten aus. Schließlich kennen wir uns schon seit dem Kindergarten. Unsere Lieblingsgeschichte: An einem Silvestervormittag vor etwa zwölf Jahren waren wir in ihrer Küche und ihr Bruder in seinem Zimmer. Auf einmal zischte und knallte es, er hatte einen Feuerwirbel zur Probe angezündet und war schließlich daraufgetreten, so dass sich das Minifeuerwerk zum Glück nur in diesen Teil der neu gekauften Auslegware brannte. A.s Vater kam angerannt, schrie und gab schließlich A. die Schuld, nicht genug auf ihren kleineren Bruder aufgepasst zu haben. Sie durfte in der Silvesternacht nicht nach draußen, ihr Bruder schon. Und ihr Vater besserte den Teppich schnellstens aus, bevor ihre Mutter Wind von der Geschichte bekam …
Am Montag hieß es für mich dann schon wieder Abschied nehmen und morgens um halb zehn verließ ich das Dorf, als meine Eltern mich zum Zug nach Waren an der Müritz brachten, von wo aus ich nach Berlin fuhr und dann nach Istanbul flog. Da am Montag bei uns minus fünfzehn Grad herrschten, stieg ich mit gefrorenen Füßen überglücklich ins Flugzeug, um dem Winter zu entkommen.
Während der Aufenthalt insgesamt schön war, fand ich die Reisezeit ganz fürchterlich. Mindestens zwölf Stunden muss ich jedes Mal einplanen, obwohl die Flugzeit nur drei Stunden beträgt, und damit habe ich mich entschieden, das nächste Mal erst im Sommer nach Hause zu fliegen. Wenn der Schnee weg ist. Wenn meine Füße nicht sofort Eisklumpen werden. Wenn ich auch mehr Zeit habe. Wer mich trotzdem sehen will, kann mich ja hier besuchen!
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 30. Dezember 2010)