“Warum ist es ‘das Auto’? Es muss ‘der Auto’ sein. Auto ist männlich.”
Das war das Erste, was ich über Türken und Autos gehört habe. Die Aussage stammt übrigens vom türkischen Ehemann einer deutschen Bekannten. Diese kurze Erklärung fasst den Fahrstil des Durchschnittsistanbulers perfekt zusammen oder anders: “Ich Tarzan, ihr alle Janes. Platz da. Jetzt komme ich.”
Ich habe schon einige Hauptstädte und ihre Fahrstile erlebt: Paris ist die Stadt der Liebe und Liebe macht blind – und so wird auch in der französischen Stadt Auto gefahren. Kopenhagen ist wie ein Dorf, dort fahren sie so gesittet, dass man ohne Bedenken sogar mit dem Fahrrad auf der Straße fahren kann. In Dublin ist der Verkehr dicht, die Iren machen mit Hupen auf sich aufmerksam; aber Stress wird vermieden, da die Straßen erstens viel zu eng sind und zweitens jede von der Polizei aufgenommene Verletzung der Regeln zu einer saftigen Erhöhung der Kfz-Versicherung führt. In Berlin hält sich (fast) jeder an die Regeln, eine Ampel wird auch solche wahrgenommen; dafür drängen sich die Schnellfahrer auf der Ringautobahn.
In Istanbul wiederum ist es wie folgt: auf den Straßen reihen sich tausende Autos. Jeder will so schnell wie möglich ans Ziel und da werden Verkehrsschilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung einfach nicht beachtet, solange man nicht im Stau steht oder sich stundenlang im Stop-and-Go bewegt.
Bisher bin ich dreimal vom Shoppingcenter Forum Istanbul mit einem Taxi nach Hause gefahren. Die Fahrt lief immer gleich ab: Ich stieg ins Auto, suchte den Gurt, fand ihn aber nicht oder er klemmte und schnallte mich wie alle anderen auch nicht an. Mit ordentlich Gas bretterten wir vom Gelände des Einkaufszentrums auf die nächste Autobahn, wo sich alle Autos irgendwie durchschlängeln, spontan die Spur wechseln, zur Sicherheit immer wieder hupen, plötzlich bremsen, die anderen Fahrer durch die Scheiben verfluchen, sich zu zweit auf einer Spur drängeln. Vor Ampeln oder Stauenden wird nicht ausgerollt, sondern plötzlich stark gebremst. Am liebsten aber schnellen die Fahrer auf einer Auffahrt in die nächste Spur und bremsen die von hinten kommenden Autos aus. Zu diesem Zeitpunkt sitze ich längst verängstigt und ganz klein gekrümmt auf meinem Sitz und klammere mich mit beiden Händen fest. Die Taxifahrer sehen dann zu mir hinüber, lachen und erklären mir die Situation in gebrochenem Englisch: “No problem. Is Istanbul. You from Germany. Germany different. But Istanbul no problem. No be afraid.” Und ich würde ihnen so gerne glauben … Dafür bin ich umso glücklicher, wenn ich vor meiner Haustür endlich aus dem Auto schwanken kann. Erstaunlicherweise habe ich bisher noch keinen einzigen Unfall trotz des irrsinnigen Istanbuler Fahrstils gesehen.
Da ich mir selbst nie zutrauen würde, in dieser Stadt mit einem Auto zu fahren, bewege ich mich ansonsten am liebsten mit der Straßenbahn und U-Bahn durch Istanbul, denn die haben ihre eigenen Schienen abseits des Straßendschungels. Aber schließlich heißen sie ja auch “die” Tram und “die” Metro.
P.s. Fahrradfahren ist im Gegensatz zu Deutschland eine Sache der Unmöglichkeit – selbst wenn man nicht von den Autos umgebrettert würde, bräuchte man eine Menge Muskelkraft, um die unendlich vielen steilen Hügel und Berge in der Stadt zu überwinden.
© janavar
(erstmals veröffentlicht am 7. Dezember 2010)