Farewell letter to Istanbul

Farewell letter to Istanbul

Ach, Istanbul. Fünf Jahre lang habe ich in dir gelebt und dich geliebt und manchmal gehasst. Ich erinnere mich an den ersten Morgen und an den letzten. An meinem ersten Morgen in meiner eigenen Wohnung in der Nähe des Taksim-Platzes habe ich von meinem Balkon aus, eingewickelt in einer Decke  und mit einer Tasse Tee in der Hand, zusammen mit einer Katze auf dem Nachbardach den Sonnenaufgang beobachtet. An meinem letzten Morgen stand ich stark unter Strom und habe nach einem schnellen Hotelfrühstück meinen Kater vom Tierarzt abgeholt bzw. wir haben ihn dort eine halbe Stunde durch die Praxis gejagt, bis wir ihn endlich einfangen und in seiner Reisetasche verstauen konnten. Dann bin ich viel zu früh zum Flughafen gefahren, damit nichts schief geht. Der Flug verlief ohne Probleme. Als ich vor fünf Jahren nach Istanbul geflogen bin, hat meine Sitznachbarin aus Versehen ihren Salat über mich geschüttet. Ich roch nach grünen Bohnen und Olivenöl. Einer der vielen Gerüche Istanbuls. Das Essen, der Staub, frisch gekochter Tee und türkischer Kaffee, das Meer und der Bosporus, der Müll auf der Straße, die Gewürze auf dem Basar …

Fünf Jahre Istanbul, drei verschiedene Wohnungen, die besten Freundinnen überhaupt, ein Kater, ein Paar Manolos, gescheiterte Beziehungen, viel zu viele Tränen. Ich glaube, in Istanbul bin ich endlich erwachsen geworden, habe viel Verantwortung erst in meinem Job und dann zu Hause übernommen. Ich habe gelernt, mehr Nein zu sagen. Ich erinnere mich, als wir an den Gezi-Park-Protesten teilnahmen und mitten im Tränengas standen. Für die Freiheit des türkischen Volkes und unsere eigene. Ich erinnere mich an die vielen schönen Reisen, die ich gemacht habe durch ein wunderschönes, unglaublich vielseitiges Land. In Bodrum habe ich scuba diving gelernt und meinen Kater gefunden. In Istanbul und Izmir habe ich auf türkischen Hochzeiten getanzt. In Bartın habe ich gelernt, wie man poğaça bäckt. In Antalya habe ich einfach relaxt. In Mersin habe ich gelernt, wie einfach doch das Autofahren in der Türkei ist. In Van habe ich festgestellt, dass die Kurden auch ganz normale und nette Menschen sind. Aber in Istanbul habe ich gelebt. Ich habe die leere Stadt im Sommer geliebt, wenn wir zum Schwimmen auf die Prinzeninseln oder zum Schwarzen Meer gefahren sind. Wenn wir nachts auf den Treppen in Cihangir saßen und gefüllte Muscheln aßen. Wenn wir nachts in den Seitenstraßen der Istiklal in Clubs tanzten. Wenn wir nachts im Regen von Florya nach Yeşilköy spazierten. Wenn wir im Winter heißen Salep von den Straßenhändlern tranken. Wenn die Stadt unter einer zwei Zentimeter dicken Schneedecke verschwand und nichts mehr funktionierte.

In Istanbul war ich zu Hause. Auch wenn ich die türkische Sprache nicht richtig gelernt habe. Auch wenn ich es hasste, wenn fremde Männer auf der Straße mich einfach einfassten oder gar verfolgten. Die Zensur, besonders die blockierten Internetseiten und das Atmen in der Telefonleitung habe ich gehasst. Aber ich habe mehr Seiten geliebt als gehasst. Die Hamambesuche im Winter. Das billige, aber gute Essen in den Lokantas. Die Zeugnisse der langen Geschichte der Stadt, wie die Ayasofya und den Sultanspalast. Die unzähligen Straßenkatzen. Die Nevizade und Kumkapı mit den besten Fisch- und Mezerestaurants. Die Delfine im Bosporus. Ortaköy mit der nach Jahren endlich restaurierten Moschee, den besten Waffeln und Kumpir. Die Bosporusbrücken. Der geschäftige Große Basar. Güllaç während Ramadan. Die schläfrigen Straßenhunde. Bakırköy mit der fantastischen Mischung von armenischen und syrischen Christen und Muslimen. Die Frühstückscafés. Es war mein Zuhause.

Ich bin nicht gegangen, weil ich die Stadt nicht geliebt habe. Aber ich habe sie nicht genug geliebt, um zu bleiben.

Jemand hat es in einem anderen Zusammenhang zu mir gesagt, aber die Worte sind geblieben: “I think of this as goodbye. It is time for us to move on.” Ich füge hinzu: “On to Boston.” Die Erinnerungen bleiben und ein Tattoo mit der Skyline Istanbuls um mein linkes Handgelenk.

Farewell letter to Istanbul

Oh Istanbul! I lived there for five years. I loved you, and sometimes I hated you. I remember my first and my last morning. On my first morning I wrapped myself in a blanket, held a cup of hot tea and sat on my balcony to watch the sunrise together with a cat sitting on the neighboring roof. That was in my first apartment close to Taksim Square. On my last morning I was very tense, had a quick breakfast in the hotel, and picked up the cat from the vet. Or rather we chased him through her office for half an hour before we finally caught him and were able to put him into his traveling bag. Then I went to the airport far too early, but I didn’t want anything to go wrong. There weren’t any problems on the flight. When I flew to Istanbul five years ago, my seatmate accidentally poured her salad on me. I smelled of green beans and olive oil. One of Istanbul’s many smells. The food, the dust, freshly brewed tea and Turkish coffee, the sea and the Bosphorus, the garbage in the streets, the spices at the bazaar …

Five years in Istanbul, three different apartments, the best girlfriends ever, a cat, a pair of Manolos, failed relationships, far too many tears. I think in Istanbul I finally grew up. I assumed much responsibility, first at work, then at home. I learned to say no more often. I remember when we took part in the Gezi Park Protests and stood in the middle of all the tear gas. For the freedom of the Turkish people and our own. I remember many wonderful journeys I went on in a gorgeous, unbelievably multifaceted country. In Bodrum I learned scuba diving and found my cat. In Istanbul and Izmir I danced at Turkish weddings. In Bartın I learned how to bake poğaça. In Antalya I only relaxed. In Mersin I learned how easy it is to drive a car in Turkey. In Van I realized that Kurds are also very normal and nice people. But in Istanbul I did live. I loved the empty city in summer when we went to the Princes’ Islands or the Black Sea in order to swim. When we sat on the stairs in Cihangir at night and ate filled mussels. When at night we danced in the clubs of Istiklal’s side streets. When at night we walked in the rain from Florya to Yeşilköy. When we drank hot salep from street sellers in winter. When the city disappeared under a dusting of snow and still nothing worked anymore.

In Istanbul I was at home. Even though I’ve never managed to really learn Turkish. Even though I hated it when strange men touched me in the streets or even followed me. I hated the censorship, especially the blocked websites and the audible breathing in the phone line. But I loved many more aspects than I hated. Visiting the hamams in winter. The cheap, but good food in lokantas. The remains of the city’s long history, like the Ayasofya and the sultan’s palace. The countless street cats. Nevizade and Kumkapı with the best fish and meze restaurants. The dolphins in the Bosphorus. Ortaköy with its mosque that has finally been restored after several years, and the best waffles and kumpir. The Bosphorus bridges. The busy Grand Bazaar. Güllaç during Ramadan. The sleepy street dogs. Bakırköy with its fantastic mix of Armenian and Syrian Christians and Muslims. The breakfast cafes. It was my home.

I didn’t leave because I didn’t love the city. But I didn’t love it enough to stay.

Somebody once told me this in a different context, but the words have remained: “I think of this as goodbye. It is time for us to move on.” I add: “On to Boston.” The memories remain, and a tattoo showing Istanbul’s skyline around my left wrist.

© Janavar

Sharing is caring!

6 thoughts on “Farewell letter to Istanbul”

  1. Eine wunderbare Hommage an deine bisherige Heimat. Es ist toll, dass du ohne Verbitterung gehen konntest, trotz Tränen. Es ist toll, dass du sogar mit Wehmut und einigen Abschiedstränen gehen konntest. So sollte man Dinge hinter sich lassen können um weiter positiv nach vorne schauen zu können. Das ist wirklich großartig!

    Und dein Tattoo hab ich schon länger bewundert und finde es absolut passend. Es war ein Lebensabschnitt, der Spuren hinterlassen hat, der dich verändert hat, dafür hast du jetzt eine wunderschöne Erinnerung!

    PS: Ich bin gespannt, was du dir für den Blog überlegst wegen der Istanbul-Skyline…
    PPS: Ich hoffe sehr, dass du uns erhalten bleibst, denn ich lese super gerne von dir und auch deine aktuellen USA-Abenteuer sind wieder super lesenswert und unterhaltsam.

    1. Danke, liebe Susa! Ich überlege immer noch wegen dem Blog-Bild. Ich habe die Istanbul-Skyline hier jetzt schon so lange, dass es mir echt schwerfällt, die zu ändern bzw. gute Ideen zu haben, die ich alleine umsetzen kann. Aber ich werde weiterschreiben, denn der Blog hat sich ja schon lange nicht mehr nur auf die Türkei bezogen 🙂

  2. Es hat zwar schon jemand genau so kommentiert, aber ich würde auch sagen:

    Es klingt dennoch wie eine Liebeserklärung an diese Stadt, dieses Land! Ich bin gespannt, was Du in Boston erlebst!

    LG Ivi

Leave a Reply to IviCancel reply

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.