Total out

Die türkische Sprache ist sehr schwer (Wissen heute: sie gehört zu den Turksprachen, die einen agglutinierenden Sprachbau haben), weshalb ich auch nach zwei Jahren sie nicht besonders gut beherrsche. Aber natürlich gibt es eine Ausnahme: Modezeitschriften. Sobald ich etwas verstehen will, verstehe ich es dann doch auch. Seit etwa einem dreiviertel Jahr habe ich daher die einfach verständliche “People StyleWatch” abonniert, außerdem hat das Jahresabonnement nur 25 Lira gekostet.

Jeden Monat freue ich mich daher, wenn der Kurier bei mir klingelt und die Zeitschrift liefert. Dummerweise bin ich natürlich nicht immer zu Hause und dann muss ich entweder zum Kurierbüro laufen oder ich laufe hin und sie sagen mir, auf dem Benachrichtigungszettel stände doch, dass die Zeitschrift beim Nachbarn abgegeben worden sei. Nur habe ich den Satz natürlich nicht als wichtig erachtet und hätte ihn sowieso nicht verstanden. Anyway, irgendwann landet die “People StyleWatch” doch bei mir und dann lerne ich wichtige Dinge, wie Essence gibt es jetzt in jeder Gratis-Filiale oder Asos liefert ohne Versandkosten in die Türkei.

Nur eine Seite hat mir in der aktuellen Septemberausgabe nicht gefallen: die In- und Out-Seite. Okay, der In-Teil war in Ordnung. “In” sind offenbar eine “rebellische französische Maniküre”, “Konzeptcafés”, “Familienfernsehserien” und “Wasserflaschen aus Glas”.

Und “out”? Zum einen steht dort “langes Laufen”. Erklärt wird, dass man anstatt 50 lieber nur 30 Minuten laufen soll, weil es viel zu ungesund ist. Bisher habe ich aber sehr wenige Jogger in Istanbul gesehen und meistens sind sie Ausländer. Die Türken selbst machen gar nicht so viel Sport, obwohl einige am Meer entlang in Gruppen walken oder die kostenlosen Fitnessgeräte auf den Spielplätzen nutzen. Fitnessstudios sind zu 97 % Luxusstudios, die sich die meisten Einheimischen gar nicht leisten können. Dazu kommt jedes Jahr eine neue Statistik, die feststellt, dass immer mehr Türken übergewichtig sind. – Und dann kommt eine Modezeitschrift und bestimmt, dass 50 Minuten Laufen ungesund sind. Also wirklich!

Entspannung zur Happy Hour, hier Beispiele aus meinen Sommerferien: Whiskey in einer
Dubliner Destillerie und selbstgemachter Hugo

Mein nächster Störpunkt: die “Happy Hour” ist out, weil sie auch ungesund ist. Stattdessen soll man lieber die Zeit für Hobbys und – okay, eigentlich positiv – Yoga nutzen. Nur dass die Türken bisher auch kaum Yoga machen und es auch nur sehr sehr wenige Kurse gibt. Für mich klingt das Ganze – in einer Frauen(!)zeitschrift – eher nach dem aktuellen Regierungsprogramm. Alkohol ist schlecht. Warum sollten sich Frauen in der Öffentlichkeit treffen, wenn sie ebenso gut zu Hause bleiben können?

Schließlich kam dann noch, dass auch klassische Fotoalben out seien, weil es stattdessen so viele schöne Onlineprodukte gibt, wie Facebook und Instagram. Und der Widerspruch? Als letzter Punkt werden “Technologiesklaven” für out erklärt. Böse Zungen behaupten ja, dass die Türkei ihre eigene Facebookversion entwickelt (á la zensiertes Modell Chinas).

Also da frage ich mich doch, wer eigentlich diese Seite gemacht hat und ob dahinter ein bestimmter Zweck steckt. Wo bleiben schöne Traditionen? Wo sinnvolle und wahre Hinweise auf Gesundes bzw. Ungesundes? Bei mir hat es nur insofern gewirkt, dass ich mich immer noch darüber aufrege und ich demnächst meinen Freund nach einer schönen Happy Hour in einen Tanzkurs schleifen werde. Und ein “echtes” Fotoalbum hat er schon bekommen.

© janavar

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5 thoughts on “Total out”

    1. Das wäre ärgerlich. Ich verstehe auch, dass man nicht alle Fotos in Papierform braucht, aber so als Highlight zu einem besonderen Anlass sind sie was Feines

  1. Meine Fotos sind zwar auf einem USB-Stick gespeichert, aber die Bilder, die mir besonders gut gefallen, hängen gerahmt an der Wand

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