Nacht-Leben auf der anderen Seite

Manchmal läuft alles etwas anders als geplant. So wie dieses Wochenende.

Gestern hat der Winter auch Istanbul erreicht, innerhalb einer Nacht sank die Temperatur um zwölf Grad, starker Wind setzte ein und es begann ohne Unterbrechung zu plattern. Auf dem Weg zur Arbeit wurde ich vom Oberschenkel abwärts vollkommen durchnässt, aber wenigstens mein 2,50€-Schirmchen von Rossmann hielt durch – Istanbul 8 Uhr morgens und wenigstens die Frisur hält.

Eigentlich hätte ich den Rest des Freitags dann gern auf meinem Sofa im beheizten Wohnzimmer verbracht, aber ausgerechnet für gestern hatte einige Kollegen und ich uns vorgenommen, mal die asiatische Seite ausgehtechnisch unter die Lupe zu nehmen. Daher sausten wir gegen neunzehn Uhr zur Fähre in Karaköy, um über den wilden Bosporus zu schippern. Im Gegensatz zu meinem ersten Erlebnis wurde mir gestern überraschenderweise nicht schlecht, aber das Schiff war auch viel gemütlicher und wir konnten während der Fahrt sogar Tee trinken. Vom Fähranläger in Kadiköy liefen wir dann zu Freunden in Moda, dem nächsten Stadtteil. Auf dem Weg kamen wir durch eine besonders tolle Straße: dort gibt es Läden voll mit Weihnachtsdeko und sogar Schokoweihnachtsmännern; unzählige Konditoreien, sogar mit Apfelstrudel im Schaufenster; Geschäfte mit richtig schönen türkischen Möbel, also ohne den Gold-Barock-Stil, wo ich immer sofort rückwärts den Laden verlassen muss. Da muss ich demnächst unbedingt noch einmal hin!

Nachdem wir die WG unserer Freunde besichtigt und einen ersten Raki genossen hatten, sollte es losgehen. Nightlife in Asia. Nur waren die Straßen leer. Lediglich ein paar arme Hunde streunten herum und suchten geschützte Plätze. Schließlich fanden wir eine gemütliche Kneipe, die auf den ersten Blick sehr spießig aussah. Aber der offene Kamin und die englische Musik (Modern Talking beispielsweise) waren gar nicht übel. Viel schlimmer war meine eigene Müdigkeit, nachdem ich in der Woche täglich um drei viertel sieben aufgestanden war und selten mehr als sechs Stunden Schlaf bekommen hatte. Dennoch gingen wir nach meinen zwei Cola noch in die Kneipe einmal über die Straße. Die war zuerst etwas muchtig, wir drängelten uns durch den schmalen Kellereingang und dann vorbei an den alternativ aussehenden Gästen. Es war dunkel, die Musik lauter, aber das Gebäude wunderschön. Das Haus war aus Holz gebaut und innen entsprechend an den Decken, Wänden, am Geländer verziert. Von den Decken hingen schummrig leuchtende Laternen.

Mittlerweile waren wir eine recht große Gruppe von vierzehn Leuten geworden und während einige um ein Uhr aufblühten und überlegten, wo man anschließend am besten tanzen könnte, fielen mir immer mehr die Augen zu. Schließlich ging ich mit zwei Freundinnen. Draußen peitschte uns der Wind Eiskristalle ins Gesicht und wir waren äußerst froh, als wir endlich im Dolmuş saßen. Da wusste ich aber noch nicht, dass das Sammeltaxi erst losfährt, wenn es fast voll ist (je nach Fahrer ab vier Fahrgästen aufwärts). Und nachts um halb zwei ist Kadiköy wie eine Kleinstadt im Herzen Mecklenburgs – dunkel und absolut leergefegt. Ich frage mich, was die tausenden dort wohnenden Menschen eigentlich Freitagnacht machen. So warteten wir noch etwas eine halbe Stunde, bevor der Fahrer endlich mit seinem vollen Auto losbretterte und erst auf der Bosporusbrücke langsamer wurde, da dort die gesamte Fahrbahn ein Teich war und der Wind das Taxi nach rechts drückte. In Europa angekommen vermischte sich der Regen langsam mit Schnee und als wir am Taksimplatz ausstiegen, schwebten die ersten größeren Schneeflocken herab. Zusammen mit den Lichtern der Weihnachts- bzw. hier eigentlich Neujahrsdekoration auf dem großen Platz fühlte ich mich verzaubert. Wie ein Kind schaute ich nach oben und bestaunte das Wunder, dass in so einer riesigen Stadt wie Istanbul so plötzlich Schneeflöckchen herabrieselten. Am liebsten hätte ich noch die Zunge herausgestreckt und die ersten Kristalle geschmeckt, aber das sparte ich mir für die etwas dunklere und ruhigere Straße zu meiner Wohnung auf.

Nun habe ich mich aber in meiner warmen Bärenhöhle verkrochen und habe nicht vor, sie vor Montag früh zu verlassen …

© janavar

(erstmals veröffentlicht am 11. Dezember 2010)

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3 thoughts on “Nacht-Leben auf der anderen Seite”

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