Meinung: Abschaffung der Schuluniform in der Türkei

Ja, ich brauche eine neue Kategorie: die Meinung. Hier kommt vor allem rein, worüber ich mich mächtig gewaltig aufrege. Versteht mich nicht falsch: ich liebe mein Leben in Istanbul und ich finde die Türkei als Land sehr schön. Ich kann mir auch vorstellen, die maximale Dauer meines Vertrages, also sechs Jahre, hierzubleiben, aber dennoch stört mich immer wieder einiges. Vieles davon lässt sich mit kulturellen Differenzen erklären, aber nicht alles.

Diese Woche rege ich mich darüber auf, dass das Erziehungsministerium in Ankara scheinbar spontan die Schuluniform mit dem Beginn des nächsten Schuljahres abgeschafft hat. Zur Zeit ist es so, dass jeder Schüler an jeder türkischen Schule eine Schuluniform tragen muss. Ab dem nächsten Herbst dürfen die Schüler dann alles tragen, quasi wie in Deutschland, allerdings ausgenommen sind Miniröcke und ärmellose Oberteile. Make-up bleibt weiter verboten, was meiner Ansicht nach die Schülerinnen aber noch nie abgehalten hat, es trotzdem zu benutzen. Ab dann erlaubt sind Kopftücher im Religionsunterricht und in der Klassenleiterstunde sowie generell immer Kopftücher an allen Imam-Hatip-Schulen, islamisch geprägte Schulen mit den Pflichfächern Koran, Leben des Propheten Mohammed und Arabisch.

So weit so gut. In Deutschland sind Kopftücher ohnehin erlaubt. Schuluniformen gibt es nicht, bis auf Ausnahmen. Man könnte behaupten, die Türkei mache einen großen Schritt in Richtung Demokratie. Die Abschaffung der Einheitskleidung löst sich von der Uniformierung, die immer etwas Militärisches hat. Die Schüler können also ihre Individualität viel mehr zeigen.  Schuluniformen kosten außerdem Geld, das nicht jede Familie hat.

Man kann aber auch behaupten, dass mit diesem neuen Erlass, von dem die meisten noch nicht einmal wussten, dass er überhaupt diskutiert wird, ein wichtiger Grundsatz der türkischen Verfassung außer Kraft gesetzt wird: der (von Atatürk eingeführte) Laizismus oder eigentlich hier Kemalismus. Das bisherige Kopftuchverbot gehört(e) zur strengen Trennung des Staates und der Religion, was bedeuten müsste, dass an zumindest staatlichen Schulen kein Platz für religiöse Symbole ist. Aber dies wurde mit dem neuen Erlass geändert, woraus folgt, dass Staat und Religion nicht mehr getrennt sind, also ein Grundpfeiler der Türkischen Republik abgerissen wird. Mal ganz abgesehen davon, dass sich soziale Unterschiede der Schüler wohl in nichts so stark äußern als in ihrer Marken- bzw. Nonamekleidung.

Was mich ärgert, ist, dass in den letzten zwei Jahren das Kopftuch Schritt für Schritt gesellschaftsfähig gemacht wird. Versteht mich an dieser Stelle bitte nicht falsch, ich finde, jede/r sollte seine Religion ausüben und gern auch ein Kopftuch tragen, solange sie es freiwillig tut. Aber nachdem Atatürk so hoch gefeiert wird und auch seine (und natürlich die vieler anderer) Idee der Türkei als einzigem laizistischem Land mit dem Islam als meistvertretene Religion, dürfte es nicht passieren, dass die seit elf Jahren herrschende Partei, die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), erst das Kopftuch für Parlamentsabgeordnete erlaubt, dann für Universitätsstudentinnen und nun für Schülerinnen. Anstatt jedes Jahr ein neues Gesetz bezüglich der Kopftücher zu erlassen, könnte man doch so ehrlich sein und sofort Kopftücher für alle und in jedem sozialen und staatlichen Kontext genehmigen. Denn das ist der logische Schluss der Entwicklungen. Mir ist auch klar, dass es sich hier um innenpolitische Entwicklungen handelt, in die sich andere Staaten nicht einmischen dürfen. Aber ein neues Demokratieverständnis sehe ich hier nicht. Vor allem nicht wenn ich gleichzeitig an die neuen Bauprojekte zweier Riesenmoscheen in Istanbul denke oder daran, dass seit diesem Schuljahr alle Schüler der neunten Klassen als Pflicht neue Wahlpflichtfächer wie Koran oder Mohammeds Leben besuchen sollen (es gibt aber fast keine Lehrer dafür) oder dass viele Mittelschulen (5. bis 8. Klasse) einfach zu Imam-Hatip-Schulen umgewandelt werden.

Ach ja, und dann ist da noch das Problem mit der stetig wachsenden Pressezensur … aber daran denken Blogger lieber nicht.

© janavar

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6 thoughts on “Meinung: Abschaffung der Schuluniform in der Türkei”

  1. Die Sache mit dem Kopftuch sehe ich kritisch. In der Freizeit soll bitte weiter jeder machen wie er möchte, tragen was er will bzw. in dem Fall ja die Frauen und Mädchen. ABER in öffentlichen Einrichtungen, also Schule, Uni etc. bin ich gegen Kopftücher. Auch in Tunesien gibt es die Schuluniformen, Kopftücher waren bis dato (wie s seit dem Umbruch geregelt ist weiß ich nicht) verboten, genauso wie sich ganz zu verschleiern. Und das begrüße ich. Religion gehört für mich in die Freizeit, aber nicht als “Zwang” in die Öffentlichkeit. Schuluniformen finde ich dagegen gut, meiner Meinung nach sollte es auch hier eingeführt werden.

    Liebe Grüße

    1. Ja, Schuluniformen sehe ich auch als gute Idee. Umso weniger kann ich ihre Abschaffung nachvollziehen. In Deutschland war ich froh, als ich an einer Schule war, die als Regel immerhin “bauchfrei” und “Sicht auf die Unterhose” verboten hatte.
      Wie es jetzt in Tunesien ist bezüglich der Kopftücher weiß ich auch nicht, aber es scheint gerade viel hier im östlichen Mittelmeerraum zu passieren.

  2. Sehr interessant! Dass die Türkei ein laizistische Staat ist, wusste ich und fand es immer sehr beeindruckend. Schade, dass daran nun gerüttelt wird. Grundsätzlich hätte ich nichts gegen Kopftücher im öffentlichen Raum, allerdings ist eben nicht immer klar, ob es freiwillig oder aus gesellschaftlicher Konvention getragen wird. Man bekommt eben das Gefühl der schleichenden Islamisierung, mit der leider (zu) oft Negatives assoziiert wird. Aber man wird sehen. Halt’ uns auf dem Laufenden! Cali

    1. Wird gemacht! Es gibt hier natürlich auch viele Gerüchte, z.B. dass Frauen, die einen Tschador tragen, finanziell von der Regierungspartei unterstützt werden. Ich persönlich mag lieber, dass sie es freiwillig tragen. So wie ich auch viel mehr Respekt vor den konservativen Männern habe, die ihren Frauen angepasste Kleidung tragen und nicht T-Shirt und kurze Hose.

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