Kaffee, Kuchen und der liebe Gott

Gestern kamen die Handwerker in die Wohnung über uns und veranstalteten einen Heidenlärm. Ich verstehe gar nicht, wie der Kater da einfach auf dem Fußboden entspannt schlafen konnte. Da vor der Haustür herausgeschlagene Einbauschränke lagen, gehe ich leider davon aus, dass erst die Zerstörungsphase begonnen hat, die in nächster Zeit in eine weiterhin laute Aufbauphase führen wird. Da musste ich am Nachmittag einfach hinausgehen und eines der neuen Cafés in unser endlich fertigen Marina besuchen, nämlich das Sansendo.

Ich bin ja ein großer Fan des gepflegten Kaffeetrinkens am Nachmittag, das ist in meiner Familie eine Tradition. Wenn Zeit ist, also mindestens an jedem Wochenende, an sonstigen freien Tagen und natürlich bei Familientreffen, gibt es immer irgendwann zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr Kaffee und Kuchen. Selbstgebackenen selbstverständlich. Am liebsten Omas Apfelstrudel, gefolgt von Muttis Obstkuchen und Omas Sahnetorten. Ich finde es immer schade, wenn ich bei anderen Leuten/Freunden zu Besuch bin und die den ganzen Nachmittag nichts essen oder trinken. Da fühle ich mich immer sofort unterzuckert.

Heute war einfach der perfekte Tag für einen großen Café Latte und ein Stück “Heart cake”, das Käsekuchen ähnlich, aber viel fluffiger war und nach viel Erdbeere schmeckte. Außerdem war das Café am Nachmittag fast leer und ich gönnte mir noch einen weiteren Latte, während ich meine neue Lektüre (“The forty rules of love” von Elif Shafak) begann und die Ruhe genoss. Mal ganz davon abgesehen, dass die Terrasse des Sansendo überdacht ist und daher angenehmen Schatten spendet (heute 32 °C).

Anschließend spazierte ich eine größere Runde durch das Viertel und kam versehentlich an einem Laden mit sehr hübschen Taschen vorbei, der mir vorher noch nicht aufgefallen war. Dunkel erinnerte ich mich an ein Gespräch mit meinem Freund von Montag früh am Flughafen:

Ich: “Du darfst keine Zigarretten auch nur berühren.”
Er: “Und nicht zu viel shoppen.”
Ich: “Nee, das darfst du ruhig.”
Er: “Nicht ich, du.”

Vielleicht hätte ich mich deutlicher erinnern sollen. Aber ich sah Taschen, eine hübscher als die andere, jede ein Einzelstück. Nach einigem Schauen entschied ich mich für die schlichteste, eine glänzend schwarze Tasche, die eine ähnliche Form wie meine derzeitige XXL-Bag hat, nur viel hübscher aussieht und viel besser zum Sommer passt, weil sie eben nicht aus grauem Sweatstoff besteht und langsam angeschmutzt und ausgeleiert ist. Mit kleinen Taschen komme ich leider irgendwie nie aus, höchstens mal an Partyabenden. Während ich die Tasche bezahlte (ein Schnäppchen für 23 Lira = ca. 10 €), fragte mich der Verkäufer, woher ich komme. Aha, aus Deutschland. Woher dort? Und ob ich jetzt in Istanbul wohnte und arbeitete? So weit, so gut. Ich nahm meine schöne, neue Tasche in einer Tüte entgegen und wollte schon gehen, als der Mann plötzlich Englisch sprechen konnte.

“Ah, you Germans, you don’t believe, right?! Do you believe?”

Und weil ich ja so schlecht lügen kann, antwortete ich ehrlich mit: “No.”

Danach erklärte er mir ausführlich, dass er Armenier sei und damit Christ und ich müsse nur anfangen, mit Gott zu sprechen, denn er sei schon in meinem Herzen und ich müsse ihn nur noch finden. Und ich war hin- und hergerissen zwischen ganz schnell und unhöflich aus dem Laden gehen oder nett sein und es über mich ergehen lassen, weil die Taschen so toll sind und ich bestimmt irgendwann wieder eine davon brauche. Inzwischen redete er halb auf Türkisch, halb auf Englisch und immer wieder davon, dass Religion in Europa eine zu geringe Rolle spiele. Zum Schluss, nach mehr als zehn Minuten fast-Monolog sah er mich noch einmal extra eindringlich an:

“You must talk to god, he is home.”
Ich: “Eh right, anyway, I really have to go home now.”
Er (noch eindringlicher): “If I were you, I would pray.”

Und ich stürmte aus dem Laden. Ehrlich gesagt ist Religion hier schon ein wichtiges Thema, aber bisher hat noch niemand versucht, mich zu missionieren – so wie ich ja auch nicht irgendwen anquatsche und versuche vom Atheismus zu überzeugen. Und von den wenigen Christen hier habe ich es irgendwie noch weniger erwartet und bisher auch nur nette Bekanntschaften mit ihnen gemacht. Ich hätte den Verkäufer ja gerne gefragt, ob es in unserem Stadtteil Schweinefleisch zu kaufen gibt, aber vielleicht hätte die Antwort eine sehr lange Zeit gedauert. Aus seinem letzten Satz werde ich auch nicht schlau, aber irgendwie klang er für mich wie eine Drohung. Dazu noch die durchdringenden blauen Augen des Verkäufers – vielleicht hat er ja den bösen Blick. Zum Glück trage ich seit letztem Sommer ohne Unterbrechung eine Kette mit Boncuk, das mich vor bösen Blicken schützt. Daran glaube ich irgendwie doch.

© janavar

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4 thoughts on “Kaffee, Kuchen und der liebe Gott”

  1. Wow, wie aufdringlich….aber ich hätte es mir wahrscheinlich auch angehört…aus Höflichkeit. Scheint ihm ja ein wichtiges Thema zu sein……UND Kaffee und Kuchen ist ein TRAUM!!!! Ich liebe es!!!! Zurzeit darf ich es nur nicht, da blöde Diät 🙁

        1. Nein! Ich finde nur, im Sommer sollte niemand eine Diät machen, weil alles so schön ist und das Essen frischer als sonst und Sommer ist für mich gleich genießen 🙂

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